Bild: Spezialgebiet Seltene Erkrankungen: Dr. Julia Wallmeier (Mitte), Diana Bracht und Prof. Heymut Omran beschäftigen sich mit angeborenen Krankheiten wie Lissenzephalien (Foto: WWU/P. Leßmann)

Münster (mfm/sw) – Was haben ein Gehirn und eine Walnuss gemeinsam? Klar: die furchenartige Oberfläche. Doch anders als bei der Nuss bringen die Windungen und Furchen beim Menschen etwa 100 Milliarden Neuronen in der Hirnrinde – dem Kortex – unter. Dies verleiht dem Gehirn das charakteristische Erscheinungsbild. Funktioniert der Faltungsprozess nicht, der unter anderem für komplexe Denkvorgänge unabdingbar ist, ist die Hirnrinde glatt – Fachleute sprechen von Lissenzephalie, einer angeborenen Fehlbildung. Dr. Julia Wallmeier, Ärztin und Teil einer Forschungsgruppe der Universität Münster um Prof. Heymut Omran, wollte die Entstehung der Fehlbildung besser verstehen – und entdeckte nun die wichtige Rolle des Tumorproteins TP73 bei der Diagnose von Lissenzephalien.

Heilen kann die Wissenschaft die angeborene Fehlbildung zwar nicht, wohl aber versuchen, das Krankheitsbild besser nachzuvollziehen: In einer Studie konnte Dr. Julia Wallmeier gemeinsam mit der Biologie-Doktorandin Diana Bracht zeigen, dass das Tumorprotein TP73 eine wichtige Rolle in der menschlichen Gehirnentwicklung, insbesondere des Kortex, spielt. Kinder mit Mutationen des TP73-Gens weisen eine ausgeprägte Lissenzephalie auf. TP73 ist essenziell für die neuronale Differenzierung – also der Entwicklung von verschiedenen Typen von Nervenzellen – und für die Entwicklung der Atemwegsepithelien, einer Zellschicht, die die Atemwege von innen auskleidet. Die Folge: Lissenzephalie-Patienten leiden zugleich an einer chronischen Lungenerkrankung und benötigen neben der kinderneurologischen auch eine intensive kinderpneumologische Behandlung.

Lissenzephalien gehören zu den schwersten Formen der Hirnanlagestörungen – und damit zum Forschungsschwerpunkt der Arbeitsgruppe um Kinderarzt Omran: Der Direktor der münsterschen Unikinderklinik und sein Team beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Entschlüsselung schwerer angeborener Erkrankungen. Viele Eltern von Kindern mit seltenen Erkrankungen wenden sich daher an das Zentrum für Seltene Erkrankungen am münsterschen Uniklinikum. Die Forschungsergebnisse des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes wurden nun in der Fachzeitschrift American Journal of Human Genetics veröffentlicht.

PubMed-Link zur Studie: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34077761/
Wallmeier, J., Bracht, D., Alsaif, H. S., Dougherty, G. W., Olbrich, H., Cindric, S., Dzietko, M., Heyer, C., Teig, N., Thiels, C., Faqeih, E., Al-Hashim, A., Khan, S., Mogarri, I., Almannai, M., Al Otaibi, W., Alkuraya, F. S., Koerner-Rettberg, C., & Omran, H. (2021). Mutations in TP73 cause impaired mucociliary clearance and lissencephaly. The American Journal of Human Genetics, 1–12. https://doi.org/10.1016/j.ajhg.2021.05.002