„Roboter werden uns nicht ersetzen“
Münster (wwu/ukm) – Welche Themen beschäftigen aktuell die Chirurgie? Welche Trends und Entwicklungen zeichnen sich ab? Aus Anlass des 100. Geburtstags der UKM-Chirurgie nehmen Prof. Dr. Andreas Pascher, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie und Prof. Dr. Michael J. Raschke, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am UKM (Universitätsklinikum Münster) Stellung zu den großen Themen ihres Fachs.
Ausbildung und Nachwuchsförderung
Raschke: Die Förderung des medizinischen Nachwuchses und die Ausbildung angehender Chirurginnen und Chirurgen hat im Universitätsklinikum und an der Medizinischen Fakultät einen hohen Stellenwert. Wir wollen bei Studierenden, Doktoranden und Postdocs die Begeisterung für die Chirurgie und die Vielfalt unserer Fächer möglichst frühzeitig wecken. Obwohl das Fach Chirurgie eines hohen manuellen Geschicks und großer dreidimensionaler Vorstellungskraft bedarf, ist es erlernbar. Glücklicherweise haben wir an unserem Standort keine Nachwuchssorgen. Das führe ich unter anderem auf Mentoringprogramme, die Einbindung von Studierenden in den Klinikalltag, die Teilhabe an aktuellen Forschungsprojekten und auf die Förderung der Eigenverantwortung zurück. Bei uns kann man sehr schnell am Erfolg teilhaben.
Pascher: Ich möchte zwei Aspekte herausgreifen – digitale Techniken und neue Lehrmethoden: Zum einen nutzen wir für die Lehre minimal-invasiver Operationsverfahren zunehmend virtual reality-basierte Simulatoren. Zum anderen Virtual-Reality-Brillen, um den Zugang zur topografischen Anatomie und den besten Operationsverfahren zu vermitteln. Für die Studierenden im praktischen Jahr und die Pflegeschüler haben wir zudem ein interprofessionelles Unterrichtskonzept entwickelt, das pflegerische Praxisanleiter und Ärztinnen und Ärzte verantworten.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Raschke: Die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachdisziplinen und anderen Kliniken ist von höchster Bedeutung für den medizinischen Fortschritt und die effektive Patientenversorgung. Neue Methoden und Denkweisen einer anderen Fachrichtung kennenzulernen und einzubinden, trägt wesentlich zum Erfolg der Behandlung bei. Während früher kaum oder gar kein Austausch zwischen den verschiedenen Disziplinen und Kliniken stattfand, geschweige denn zwischen den Ärztinnen und Ärzten, dem OP- und Pflegepersonal sowie den Physiotherapeuten, ist das heutzutage die Regel. Dazu hat das Trauma-Netzwerk wesentlich beigetragen. Vor allem bei schwer verletzten Patienten kooperieren wir mit den anderen Spezialdisziplinen wie der plastischen Chirurgie oder der Augenklinik. Glücklicherweise können wir auch schnelle Kommunikationswege wie beispielsweise die Telemedizin nutzen. Das hilft besonders in ländlichen Regionen.
Technische Weiterentwicklungen/Robotik
Pascher: Die Robotik wird in der Chirurgie ein essenzieller Bestandteil werden. Sie ermöglicht zum einen minimalinvasive Prozeduren und OP-Methoden, die ohne Roboter-Assistenz nicht unmittelbar aus der offenen Chirurgie in ein klassisch minimal-invasives Prozedere übertragen werden können. Zum anderen erlaubt sie einen minimalinvasiven Zugang bei komplex voroperierten Patienten. Die Chirurgie 3.0 stellt eine neue Evolutionsstufe der Chirurgie dar, die organschonendes und organerhaltendes Operieren, eine schnellere Heilung der Patienten und eine Verringerung der Komplikationen bei großen bauchchirurgischen Operationen ermöglicht. Die robotische Technologie, die derzeit noch mit hohen Investitionskosten verbunden ist, verändert die chirurgische Arbeitsweise grundlegend und stimuliert Innovationen in der Aus- und Weiterbildung und der interprofessionellen Zusammenarbeit.
Raschke: Wie viele andere medizinische Bereiche hat die Digitalisierung auch auf die Chirurgie einen großen Einfluss. Unser Fach hat dank der Radiologie mit dreidimensionaler Darstellung komplexer Verletzungen – auch während der Operation – eine fantastische Entwicklung genommen. Wir sind noch präziser geworden: So können wir beispielsweise bei Kreuzbandverletzungen unsere Transplantate exakt platzieren, damit die Funktion vollständig wiederhergestellt werden kann. Moderne Navigationsverfahren ermöglichen es uns in der Wirbelsäulenchirurgie, die Implantate präzise zu platzieren. So können wir schwer zugängliche Strukturen über schonende Zugänge rekonstruieren. Das war früher riskant. Durch die Bildgebung erfahren wir immer mehr Details über die Anatomie. Ein anderes Beispiel ist die Mikrochirurgie. Die Kollegen aus unserer plastischen Chirurgie haben einen Operationsroboter, der dabei unterstützt, feinste Verbindungen von Blutgefäßen herzustellen, die einen Durchmesser unter 0,3 Millimeter haben – das ist weit dünner als ein Kopfhaar.
Spezialisierung
Raschke: Die Spezialisierung der Chirurgen nimmt stetig zu. Es gibt Experten für Hände, Knie, Schultern oder Wirbelsäule. Das ist auch gut so, denn es handelt sich oft um äußerst komplizierte Verletzungen oder Folgen von Verletzungen. An der Universität haben wir das Glück, höchst engagierte Mitarbeiter in einem perfekten Umfeld zu haben. Unsere Mitarbeiter sind geradezu von ihren Aufgaben ‚infiziert‘ – somit können die Patienten sicher sein, immer nach den modernsten Methoden und nach allen Regeln der Kunst behandelt zu werden.