Schon vor dem zweiten Lockdown schien Prof. Julia Biermann, Oberärztin der Klinik für Augenheilkunde am UKM (Universitätsklinikum Münster), die Zeit, die ihre eigenen Kinder vor Bildschirmen verbrachten, grenzwertig lang. Dass nun alle wieder per Home-Schooling unterrichtet werden, vergrößert die Belastung für die Augen von Kindern und Jugendlichen, sagt sie und fordert Eltern auf, die Bildschirm-Zeit und -Arbeitsplatz ihrer Kinder in den Blick zu nehmen.
Münster (ukm/aw) – Augenschmerzen wie ein Stechen oder Druckgefühl, Kopfschmerzen, Verschwommen- oder Doppeltsehen und sogar Schielen: Die Symptome, unter denen Kinder und Jugendliche durch zu viel Bildschirmzeit im zweiten Lockdown leiden, sind dieselben, wie bei Erwachsenen. Allerdings: Die Auswirkungen von Home-Schooling in Kombination mit andauerndem online-Surfen via Tablet oder Smartphone in der Freizeit können die Sehkraft nachhaltig negativ beeinflussen, weiß Augenärztin Prof. Julia Biermann. „Im Zusammenhang mit extensiver Bildschirmnutzung kann es zu Beschwerden durch vermehrte Naheinstellung oder beidäugigen Stress, sowie Beschwerden in Verbindung mit trockenen Augen kommen. Im anglo-amerikanischen Raum kennt man dieses Syndrom unter Digital Eye Strain (DES), also Stress für die Augen, der durch die Dauernutzung von digitalen Medien entsteht. Dabei wächst der Stress proportional zur Bildschirmzeit“, so Biermann.
Sie berichtet von einer aktuellen Umfrage aus Indien, wonach Kinder dort in der Pandemie im Durchschnitt 3,9 Stunden pro Tag am Bildschirm verbrachten. Im Vergleich dazu waren es vor der Pandemie im Schnitt 1,9 Stunden. Über ein Drittel der Befragten verbrachten sogar mehr als 5 Stunden pro Tag am Rechner oder Smartphone. Folge: Über die Hälfte der Probanden berichteten von den oben beschriebenen DES-Symptomen.
Dass das durchaus auch Langzeitfolgen nach sich ziehen kann, weiß die Direktorin der UKM-Augenklinik, Univ.-Prof. Nicole Eter: „Obwohl die Beschwerden in den meisten Fällen nur vorübergehend bestehen, kann es in einigen Fällen aber doch zu bleibenden Veränderungen kommen.“ Eter verweist auf Erkenntnisse nach denen junge Patienten, bei denen ein operationsbedürftiges Einwärts-Schielen neu auftritt, zu 80 Prozent angaben, mehr als vier Stunden täglich Bildschirme zu nutzen. Und auch die Quarantäne-bedingten verminderten Freizeitaktivitäten draußen an der frischen Luft sind laut den beiden Expertinnen problematisch: Durch fehlende Outdoor-Aktivitäten bestehe bei Schulkindern das Risiko, eine regelrechte „Quarantäne-Myopie“ zu entwickeln. „Tageslicht und der Fernblick wirken dem durch ständige Nahsicht vermehrten Längenwachstum des Augapfels entgegen, was dann eine Kurzsichtigkeit nach sich zieht“. „Wir empfehlen deshalb Kindern und Jugendlichen täglich mindestens 40 Minuten im Freien zu verbringen.“
Doch es gibt auch „Erste-Hilfe-Maßnahmen“, die Eltern präventiv ergreifen können: So sollten sie sich über Art, Größe und Arbeitsabstand der digitalen Geräte Gedanken machen und – außerhalb des Home-Schooling – die Bildschirmnutzung stark beschränken und Pausen durchsetzen. Außerdem sollen sie den Nachwuchs aktiv zu Problemen mit den Augen befragen, weil Kinder diese oftmals gar nicht selbst äußern. Eine optimierte Beleuchtung, Vergrößerung des Arbeitsabstandes (größer 30 cm), regelmäßiges Lüften, bzw. eine Luftbefeuchtung in Innenräumen können Beschwerden vorbeugen. Auch das Lesen im sogenannten „dark mode“, also dem invertierten Textkontrast (heller Text auf dunklem Hintergrund) sei Augen-schonend. Und wenn die Probleme mit dem „digitalen Augenstress“ schon da sind und sich trotz dieser Maßnahmen nicht bessern, sollten die Kinder in jedem Fall zur Abklärung einem Augenarzt vorgestellt werden.