Essstörungen

Essstörungen frühzeitig erkennen und behandeln

Magersucht

Diese Bilder schockierten ganz Italien: Eine abgemagerte Frau schaute von riesigen Plakatwänden herab, nackt und dürr, kaum mehr als Haut und Knochen. Fotograf Oliviero Toscani hatte die Bilder in mehreren italienischen Großstädten publikumswirksam anbringen lassen – als Werbung für eine Modemarke. „Nein. Magersucht“ war der kurze Slogan, mit dem sich die Bilder gegen den Schlankheitswahn in der Modewelt wendeten.

Die Schock-Kampagne brachte für viele zum ersten Mal ans Licht, was in den meisten Fällen absichtlich verborgen bleibt: Viele Menschen leiden unter einem gestörten Verhältnis zu ihrem Körper und zum Essen. Sie verlieren die Kontrolle über ihr Essverhalten, essen zwanghaft in Massen oder können kein Stück Brot mehr anrühren. Von außen kann man es nicht direkt sehen. Von innen kann man es nicht direkt steuern. Auf Dauer können die gesundheitlichen Folgen bedrohlich werden.

Hinweis: Verwenden Sie die Informationen aus unserer Gesundheits-Rubrik nicht als alleinige Quelle. Bitte fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden einen Arzt oder Apotheker.

Was sind Essstörungen und woran erkennt man sie?

Nicht jeder, der mal mehr oder weniger isst als andere, ist zwangsläufig essgestört. Doch die Übergänge sind oft fließend und nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Essstörungen sind eine schwere psychische Erkrankung, bei der sich alles um das Thema „Essen“ dreht. Das Essen selbst ist jedoch zumeist ein Ventil für tieferliegende seelische Nöte und innere Spannungen. Das gilt sowohl für die Anorexia nervosa (Magersucht) und die Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) als auch für die Binge-Eating-Störung (Ess-Sucht) und andere Formen von Essstörungen, die sich nicht eindeutig einer der zwei genannten Hauptformen zuordnen lassen. Hier spricht man dann von einer unspezifischen Essstörung.
Oft beginnen Essstörungen mir einer Diät. Die Betroffenen beobachten, kontrollieren und zügeln ihr Essverhalten, um möglichst viel abzunehmen oder wenigstens nicht zuzunehmen. Verantwortlich dafür ist nicht immer das Streben nach Gesundheit, sondern sehr häufig ein übertriebenes Schlankheitsideal. Vorbilder aus Mode und Medien lassen glauben, nur schlanke, magere Menschen sind schön und werden anerkannt. Wer diesen Vorbildern nacheifert und viel Mühe in die Kontrolle des Essverhaltens investiert, bei dem können schon geringe Abweichungen in Körpergewicht und Figur regelrechte Panik auslösen.

Essstörungen haben gravierende psychische, körperliche und soziale Folgen. Sie wirken sich auf das gesamte Leben aus. Sie beeinflussen Beziehungen und beeinträchtigen insbesondere im Jugend- und jungen Erwachsenenalter die weitere Entwicklung. Deshalb ist es wichtig, Essstörungen so früh wie möglich zu erkennen und zu behandeln.

Auf den folgenden Seiten erfahren Sie, woran Sie die beiden Hauptformen Anorexia und Bulimia nervosa erkennen, wodurch sie entstehen und wie sie behandelt werden können. Manchmal treffen nicht alle Merkmale zu oder es treten Mischformen auf, die weder der Magersucht noch der Bulimie eindeutig zuzuordnen sind (unspezifische Essstörungen). Die Ursachen und die Behandlung sind jedoch weitgehend identisch.

Merkmale der Magersucht

Starker Gewichtsverlust, oder auch die Weigerung, das Gewicht zu erreichen, das für das Lebensalter und die Körpergröße normal wäre, sind sicher die auffälligsten Merkmale der Magersucht.

Diäten, Fasten, Aussparen von „verbotenen“ Lebensmitteln, exzessiver Sport und sogar Abführmittel werden alltäglich. Das Essen verliert mehr und mehr an Normalität, das Selbstwertgefühl wird zunehmend durch Körpergewicht und Figur bestimmt. Selbst bei starkem Untergewicht fühlen sich die Betroffenen immer noch zu dick.

Untergewicht

Untergewicht wird heute mit dem sogenannten „body-mass-index“ (BMI) berechnet. Dabei geht man nach folgender Formel vor: Körpergewicht (in kg) geteilt durch das Quadrat der Körpergröße (in m). Ein BMI von 19 bis 25 gilt als normalgewichtig. Ist der BMI kleiner als 18, ist dies ein ernster Hinweis auf eine Anorexia nervosa, sofern körperliche Ursachen für das Untergewicht ausgeschlossen werden können.

Essverhalten

Untergewicht ist zwar das wichtigste, aber nicht das einzige Merkmal der Magersucht. Auffallend sind deutliche Veränderungen im alltäglichen Essverhalten: die Tendenz, das Essen sehr zu kontrollieren, also bestimmte, meist fetthaltige oder kalorienreiche, Lebensmittel zu vermeiden; das Bestreben, die Nahrungsaufnahme möglichst weit einzuschränken, z. B. bestimmte Mahlzeiten wegzulassen oder nur teilweise zu essen; ferner das Bemühen, bei fast allen Mahlzeiten die Kalorien und Nährstoffzusammensetzung zu berechnen.

Mehr und mehr Lebensmittel werden zu „verbotenen“ Lebensmitteln, sie zu essen würde eine panische Angst vor Gewichtszunahme auslösen. Bei gemeinsamen Mahlzeiten werden deshalb oft Ausreden benutzt, oder Argumente, die auf den ersten Blick einleuchtend oder sogar vernünftig erscheinen (hoher Cholesteringehalt, zu viel Fleisch, empfindlicher Magen, bestimmte Unverträglichkeiten usw.), jedoch alle das Ziel haben, das Essen zu reduzieren.

Andere Maßnahmen zur Gewichtsabnahme

Neben dem Fasten werden auch andere Maßnahmen eingesetzt, um abzunehmen. Eine der auffälligsten Maßnahmen ist das absichtliche Erbrechen nach dem Essen. Manche erbrechen jedes Mal, andere nur nach bestimmten Mahlzeiten.

Auch Abführmittel oder Medikamente zur Entwässerung werden, nicht selten in großen Mengen bis zu 100facher Überdosierung eingenommen, um nicht zuzunehmen oder das Gewicht zu reduzieren. Andere Betroffene treiben stattdessen oder zusätzlich in extremer Weise Sport, zum Beispiel Joggen, Radfahren oder exzessive Fitness-Übungen. Auch ein Unwillen, sich hinzusetzen und lieber überall zu stehen, oder sich extremer Kälte und Hitze auszusetzen, können Gegenmaßnahmen zur Gewichtszunahme sein.

Angst vor dem Dicksein

Die Angst, dick zu sein oder dick zu werden, ist ein zentrales Merkmal der Magersucht. Bei den Betroffenen geht nicht mehr nur um eine Einstellung („schlank ist schön“), sondern um eine heftige emotionale und körperlich spürbare Reaktion, die durch Essen, bestimmte Lebensmittel und auch durch eine Konfrontation mit Körpergewicht und Figur ausgelöst wird: Panik.

Diese Angst ist durch den „Verstand“ kaum noch zu steuern. Für die Betroffenen wird sie so unerträglich, dass sie nur eine Möglichkeit sehen, sie zu beherrschen: Kontrolle des Essverhaltens, um Gewicht abzunehmen.

Kontrolle und Disziplin

Das ganze Denken dreht sich fast nur noch um das Thema Essen. Jede Mahlzeit, jedes Lebensmittel wird auf Kalorienzahl, Fett- und Eiweißgehalt geprüft, die tägliche Kalorienzufuhr wird gezählt, die Mengen und Größen der Mahlzeiten werden genau registriert.

Tägliches Wiegen, manchmal mehrmals am Tag, und dabei die Orientierung an „magischen“ Grenzen, d. h. dass ein bestimmtes Körpergewicht nicht überschritten werden darf, gehören ebenfalls dazu. Häufig wird diese „magische“ Grenze immer weiter gesenkt. Auch die Figur wird oft und kritisch kontrolliert, manchmal vor dem Spiegel, oder anhand von Kleidergrößen, oder durch Abtasten von „kritischen“ Stellen. Viele Betroffene vermeiden auch sich zu betrachten.

Wahrnehmung

Die eigene Wahrnehmung ändert sich radikal. Der Körper, insbesondere die Figur, wird als viel zu dick wahrgenommen oder besser gesagt „empfunden“ ‒ selbst dann, wenn die Person schon sehr untergewichtig und offensichtlich sehr abgemagert ist. Man nennt dieses Phänomen „Körperschemastörung“. Die Betroffenen „wissen“ zwar, wie dünn sie sind, aber sie „fühlen“ sich weiterhin zu dick.

Dieses täuschende Gefühl ist stärker als der Blick und das Wissen, denn durch die körperlichen Veränderungen im Hirnstoffwechsel ist auch die Körperwahrnehmung erheblich gestört. Dies betrifft ebenso andere Wahrnehmungen wie z. B. das Gespür für Hunger und Sattheit. Eine essgestörte Person kann sich nicht mehr auf dieses Gefühl verlassen ‒ und muss es durch Kontrolle, also Kalorienzählen ersetzen.

Heißhungerattacken und Fressanfälle

Bei einigen Magersüchtigen reagiert der Körper auf das geänderte Essverhalten mit regelrechten Attacken von Heißhunger, die nicht immer zu kontrollieren sind. Dann kommt es zu Fressattacken, bei denen ‒ ähnlich wie bei der Bulimie ‒ große Mengen an kalorienreicher Nahrung verschlungen werden, um sie anschließend wieder zu erbrechen.

Wenn solche Fressattacken vorkommen, bedeutet das nicht, dass sich die Magersucht in eine Bulimie verwandelt hat: Solange die betroffene Person untergewichtig ist, handelt es sich immer um eine Anorexia nervosa.

Psychische Veränderungen

Je länger die Magersucht andauert, desto stärker hängt der Selbstwert der betroffenen Person vom erreichten Körpergewicht und von der Figur ab. Andere Lebensbereiche, die früher die Selbsteinschätzung geprägt haben, wie z. B. Beziehungen, Bedürfnisse, Interessen, Fähigkeiten, Aktivitäten usw. spielen kaum noch eine Rolle für die Tatsache, ob man sich akzeptiert oder nicht.

Gefühle werden weniger wahrgenommen, dafür werden Disziplin und Kontrolle immer bedeutsamer. Das Bedürfnis nach Kontrolle, Erfolgserlebnissen, Kompetenz und Selbstständigkeit wird mehr und mehr durch das Essverhalten befriedigt. Mit zunehmender Erkrankungsdauer vermindern sich Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit, es kommt häufiger zu Depressionen, Interessenverlust, Apathie. Beziehungen werden immer weniger gepflegt, die soziale Isolation ‒ auch innerhalb der Familie ‒ wird stärker, der Umgang mit anderen Menschen eingeschränkter und restriktiver.

Körperliche Veränderungen

Die auffälligste körperliche Veränderung bei Magersüchtigen ist das Untergewicht. Es hat sich gezeigt, dass der Gewichtsverlust rasch voranschreitet und selten nach wenigen Kilogramm halt macht. Aufgrund der psychischen und körperlichen Veränderungen können die meisten Betroffenen diesen Prozess kaum kontrollieren, das Gewicht nimmt weiter ab ‒ bis zu einem BMI von 12 oder 11 kg/m2 oder noch darunter. Das sind bei normalgroßen Frauen manchmal weniger als 28 kg ‒ ein absolut lebensbedrohlicher Zustand.

Doch die Gewichtsabnahme ist nicht die einzige körperliche Veränderung im Verlauf einer Magersucht. Der Körper reagiert mit vielen Umstellungen auf einen Zustand, der biologisch als „Hungersnot“ zu beschreiben ist. Schon mit Beginn des restriktiven Essens, wenn das Körpergewicht noch im normalen Bereich ist, ändert der Körper seinen Stoffwechsel. Der Grundumsatz wird umgestellt, es werden weniger Kalorien verbrannt und mehr gespeichert, der Körper arbeitet gewissermaßen „auf Sparflamme“.

Es kommt zu Verschiebungen im Wasser- und Elektrolythaushalt, das bedeutet, dass wichtige Spurenelemente wie Kalium nicht mehr im normalen Sinne für den Haushalt des Körpers zur Verfügung stehen. Neben zahlreichen Folgen dieser Verschiebungen fällt vor allem die Veränderung des Hormonhaushalts auf: Sehr schnell bleibt die Menstruation aus, der weibliche Zyklus ist „stillgelegt“.

Diese Vielfalt von Merkmalen macht deutlich, dass es sich bei der Anorexia nervosa um eine sehr komplexe psychische und gleichzeitig körperliche Erkrankung handelt, die weitreichende Folgen haben kann, wenn sie nicht richtig behandelt wird. Doch so dramatisch die Ausprägungen und Folgen der Magersucht oft sind, Hilfe ist heute gut möglich. Die Anorexie kann erfolgreich behandelt werden ‒ mit langfristig stabilen Ergebnissen. Zunächst aber ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die richtige Diagnose zu stellen.

Merkmale der Bulimie

Anders als die Magersucht ist die Bulimie meist nicht auf den ersten Blick zu erkennen: Die Betroffenen leiden zwar unter ihrem gestörten Essverhalten, das durchaus auch sehr extreme Formen annehmen kann, doch rein äußerlich ist erst einmal nichts zu sehen. Sie sind nicht untergewichtig, und leiden in der Regel auch nicht unter Übergewicht.

Das Symptom, unter dem die Betroffenen am meisten leiden, sind nicht kontrollierbare Heißhungerattacken (auch Essattacken oder Essanfälle genannt).

Heißhungerattacken

Kennzeichnend für diese Essanfälle ist, dass die Betroffenen das Gefühl haben, die Kontrolle über ihre Handlungen zu verlieren, und zumeist deutlich größere Nahrungsmengen verzehren als in einer vergleichbaren Zeit üblich (z. B. ein bis zwei große Dosen Nudeln in Tomatensoße, ein großes Weißbrot, ein Glas Schokoladen-Brotaufstrich, eine Schachtel Pralinen oder Kekse, ein Kilo Speiseeis).

Hat ein Essanfall begonnen, führt der erlebte Kontrollverlust häufig dazu, dass die Betroffenen für eine längere Zeit nicht aufhören können zu essen, obwohl sie es eigentlich wollen – Essanfälle können daher im Extremfall andauern, bis sämtliche verfügbare Nahrungsmittel aufgegessen sind. Gelegentlich bewerten betroffene Menschen ihr eigenes Verhalten als disziplinlos und sich selbst als unkontrolliert oder sogar gierig, oder befürchten eine solche Bewertung durch andere, was häufig zu einem niedrigen Selbstwertgefühl oder depressiver Verstimmung beiträgt.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu bedenken, dass unkontrollierbare Essanfälle im Rahmen einer Bulimie nichts mit einer generellen Disziplinlosigkeit zu tun haben, sondern ein ernstzunehmendes Krankheitssymptom sind.

Angst vor dem Dicksein

Die Angst, dick zu sein oder dick zu werden, ist auch bei der Bulimie ein zentrales Merkmal. Diese Angst ist für die Betroffenen eine realistische Befürchtung, die mit heftigen emotionalen und körperlich spürbaren Reaktionen einhergeht.

Sie kann durch bestimmte Lebensmittel sowie durch die Konfrontation mit dem Körpergewicht und der Figur ausgelöst werden. Ganz besonders stark sind die Angst- oder sogar Panikgefühle jedoch nach Essanfällen.

Gegenmaßnahmen

Aus Angst, nach Essanfällen zuzunehmen, oder weil das Völlegefühl unerträglich wird, greifen die Betroffenen zu Gegenmaßnahmen. Die für die Erkrankung bekannteste Möglichkeit ist dabei das absichtliche Erbrechen. Bei einer länger bestehenden Erkrankung wird das Erbrechen häufig als automatisch und allein schon gedanklich herbeiführbar erlebt.

Dies ist jedoch nicht die einzige Strategie, um nach einem Essanfall eine Gewichtszunahme zu verhindern. Es gibt auch Betroffene, die nicht erbrechen, sondern alternativ Abführmittel in hoher Dosis einnehmen, exzessiv Sport treiben oder an den Folgetagen fasten.

Unabhängig davon welche Gegenmaßnahmen eingesetzt werden: Zunächst einmal erleben die Betroffenen sie als erleichternd. Die Ängste vor dem Dicksein lassen nach, auch das Völlegefühl und andere unangenehme Gefühle, wie z. B. innerer Druck und Anspannung. Allein schon der Vorsatz, an den nächsten Tagen weniger zu essen, erleichtert, weil er das Gefühl gibt, die Kontrolle zurückzugewinnen. Diese kurzfristige Erleichterung führt leider dazu, dass Betroffene diese Strategien immer wieder anwenden, wodurch die Erkrankung weiter aufrechterhalten wird und sich der Teufelskreis schließt.

Essverhalten

Nicht nur Erbrechen, Sport oder Abführmittel werden eingesetzt, um das Dickwerden zu verhindern. Auch außerhalb von Essanfällen und Gegenmaßnahmen ist das alltägliche Essverhalten meist durch eine ständige Kontrolle geprägt.

Häufig kreisen die Gedanken fast nur noch um das Thema Essen. Ähnlich wie bei einer Magersucht werden jede Mahlzeit und jedes Lebensmittel auf Kalorienzahl, Fett- und Eiweißgehalt geprüft, die Mengen und Größen der Mahlzeiten genau registriert. Tägliches Wiegen, manchmal mehrfach am Tag, und eine Orientierung an bestimmten Gewichtsgrenzen, die nicht überschritten werden dürfen, stellen typische Symptome dar. Anders als bei der Magersucht wird diese Grenze jedoch nicht immer weiter gesenkt ‒ die Betroffenen achten vor allem darauf, nicht zuzunehmen.

Wahrnehmung

Ähnlich wie bei einer Magersucht ändert sich auch bei einer Bulimie die Körperwahrnehmung. Die Figur wird als zu dick wahrgenommen, auch dann, wenn die Betroffenen eindeutig normalgewichtig sind. Auch andere Wahrnehmungen sind verändert, z. B. das Gespür für Hunger und Sättigung.

Betroffene haben häufig das Gefühl, sich nicht mehr auf eigene Hungergefühle verlassen zu können. Auch körpereigene Signale in Bezug auf die Sattheit werden als unzuverlässig wahrgenommen – auch aus diesem Grund entsteht der Eindruck, dass die natürliche Kontrolle durch strengere Regeln, wie z. B. Kalorienzählen und exaktes Planen der Mahlzeiten, ersetzt werden muss.

Die Selbsteinschätzung und der Selbstwert werden überwiegend von der Figur und dem Körpergewicht beeinflusst. Andere Lebensbereiche, die früher die Selbsteinschätzung geprägt haben, wie z. B. Beziehungen, Bedürfnisse, Interessen, Fähigkeiten und Aktivitäten, spielen kaum noch eine Rolle für die Wahrnehmung der eigenen Person und dafür, ob man sich akzeptiert oder nicht.

Psychische Veränderungen

Je länger die Bulimie andauert, desto mehr hängt das Wohlergehen der betroffenen Person vom Körpergewicht und von der Form der Figur ab. Das Essen, und besonders die Essanfälle mit den anschließenden Gegenmaßnahmen, können im Verlauf immer deutlicher den Charakter einer Emotionsregulationsstrategie annehmen.

So werden Essen und Essanfälle zunehmend zu einer kurzfristig wirksamen beruhigenden, ablenkenden und entspannenden Tätigkeit, und auch die Gegenmaßnahmen wie z. B. das Erbrechen oder der Sport, dienen immer häufiger dazu, Spannungen abzubauen, Gefühle zu regulieren, innere Leere oder Unruhe zu bekämpfen.

Je mehr Raum die Essstörung im Leben der Betroffenen einnimmt, desto weniger Zeit kann in soziale Beziehungen investiert werden. Die soziale Isolation ‒ auch innerhalb der Familie ‒ wird größer, der Umgang mit anderen Menschen eingeschränkter, wodurch auch immer mehr schöne Aktivitäten oder die Möglichkeit, sich durch Kontakte mit anderen zu entlasten, abnehmen. Langfristig verstärkt das die Stimmungsschwankungen; sehr häufig sind beispielsweise depressive Verstimmungen.

Körperliche Veränderungen

Das veränderte, häufig restriktive Essverhalten und vor allem die Essattacken und die Gegenmaßnahmen belasten den Körper erheblich. Wie bei der Magersucht verändert das restriktive Essen den Stoffwechsel: Der Grundumsatz wird umgestellt, es werden weniger Kalorien verbrannt. Andererseits werden bei Essanfällen mehr der aufgenommenen Kalorien gespeichert ‒ der Körper arbeitet gewissermaßen „auf Sparflamme“.

Mit zunehmend verändertem Essverhalten kommt es zu Verschiebungen im Wasser- und Elektrolythaushalt. Wichtige Spurenelemente wie z. B. Kalium stehen nicht mehr in normalem Maß für den Haushalt des Körpers zur Verfügung. Eine der zahlreichen Folgen dieser Umstellung sind z. B. Herzrhythmusstörungen, Probleme der Nierenfunktionen, Hautveränderungen, aber auch starke Änderungen des Hormonhaushalts: Häufig bleibt die Menstruation aus, der weibliche Zyklus ist „stillgelegt“.

Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch der Rückgang der gesunden Regulation des Essverhaltens in Form des Hunger- und Sättigungsgefühls. Sich weniger auf diese Körpersignale verlassen zu können, führt häufig zu noch mehr Kontrollversuchen, wodurch im Verlauf immer weniger Signale der natürlichen Nahrungsregulation vom Körper gesendet werden.

Als Folge der Essanfälle und des Erbrechens (wie auch anderer Gegenmaßnahmen) lassen sich bei den Betroffenen zudem typische Vergrößerungen der Ohrspeicheldrüsen beobachten, die auf eine erhöhte Speichelproduktion sowohl bei der Aufnahme großer Nahrungsmengen als auch beim Erbrechen zurückzuführen sind und nach gewisser Zeit die Gesichtsform verändern („Hamsterbäckchen“).

Typisch sind auch Verletzungen und Entzündungen der Speiseröhre und des Mundinnenraumes, Magenbeschwerden sowie Erosionen des Zahnschmelzes an der Innenseite der Zähne als Folge der Magensäure, die beim Erbrechen die Zähne angreift.

Wodurch entstehen Essstörungen?

Keine Essstörung lässt sich nur auf „die eine“ Ursache zurückführen. Es gibt weder den einen typischen Konflikt noch die eine typische Persönlichkeit noch lassen sich in der Familie die einen typischen Muster erkennen, die als zentrale Ursache in Frage kämen. Es kommen immer verschiedene Faktoren zusammen, die erst in ihrer Kombination darüber entscheiden, ob ein Mensch eine Essstörung entwickelt oder nicht. Dennoch gibt es bestimmte Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Essstörung begünstigen können.

Ursachen der Magersucht

Für die Entstehung der Magersucht lassen sich folgende Risikofaktoren identifizieren:

Ein ausgeprägtes Schlankheitsideal

Schlankheit wird gerade in unserer Gesellschaft, besonders bei jungen Frauen und Mädchen, zunehmend aber auch bei jungen Männern, gleichgesetzt mit Schönheit, Attraktivität, Kompetenz und Anerkennung. Das Bedürfnis, möglichst dünn zu sein, kann auch aus dem Vergleich mit Gleichaltrigen entstehen („Wer ist erfolgreicher?“, „Wer hält die Diät länger durch?“). Manchmal sind es auch Hänseleien über Figur und Körpergewicht, die dieses Bedürfnis erst wecken.

Wie auch immer ‒ wenn dieses Ideal, möglichst schlank und dünn zu sein, sehr wichtig wird, besteht ein hohes Risiko, das eigene Essverhalten so sehr zu ändern, dass es unausweichlich zu Mangelerscheinungen und damit zu ernsthaften Essstörungen kommt.

Bei jungen Männern ist es häufig eher das Streben nach einer besonders athletischen Figur, das in exzessives Sporttreiben münden und in der Folge in einer Essstörung gipfeln kann.

Restriktives Essen

Auch ohne ausgeprägtes Schlankheitsideal gehören Diäten und kontrolliertes Essen fast schon zum Alltag unserer modernen Gesellschaft. Kaum eine Frauen- (und seit einiger Zeit auch Männer-) Zeitschrift verzichtet auf regelmäßige Tipps zur „schlanken“ Ernährung. Diäten jedoch sind immer restriktives Essen.

Schon nach wenigen Wochen kommt es zu erheblichen Veränderungen des Stoffwechsels und anderer körperlicher Funktionen. Das Risiko für die Entwicklung von Mangelerscheinungen und dauerhaften Essstörungen steigt schon nach kurzer Zeit rapide an.

Angst vor dem Dicksein

Sicher einer der mächtigsten Risikofaktoren. Die Angst vor dem Dicksein ist eine Art aus dem Ruder gelaufenes Schlankheitsideal. Jetzt geht es nicht mehr um ein Ideal, das angestrebt wird, sondern um Panik vor dem Dickwerden. Alles, was dick machen könnte, wird vermieden. Viele Lebensmittel werden zu „verbotenen“ Lebensmitteln.

Schon der Gedanke an bestimmte Speisen kann diese Angst auslösen. Kalorien werden zu wichtigen Zahlen, um die Angst vor dem Dicksein zu beherrschen. Und damit die Angst gar nicht erst auftritt, wird immer weniger gegessen. Auch die eigene Figur, bestimmte „kritische“ Stellen am Körper, lösen diese Angst aus. Die Folge: weiter restriktiv essen, weiter fasten, oder auch Erbrechen, Sport, Abführmittel.

Familiäre Faktoren

Sicher gibt es nicht die typische „anorektische“ Familie. Kinder aus behüteten Familien können genauso an Magersucht erkranken wie Kinder aus Familien mit vielen Konflikten. Es fällt jedoch auf, dass viele Essgestörte aus Familien der Mittel- und Oberschicht kommen, in denen Leistung und Disziplin wie auch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl sehr wichtig sind.

Abschottung nach außen und gleichzeitig unbeschränkte Offenheit innerhalb der Familie stellt einen Risikofaktor dar, wenn das Kind wenig Möglichkeiten hat, sich als autonom zu erleben, keine Geheimnisse haben darf, sich nicht abgrenzen kann. Dann kann es dazu kommen, dass das Essverhalten für die Betroffenen die einzige Gelegenheit bietet, Selbstkontrolle, Kompetenz und Autonomie zu erleben.

Belastungen

Recht häufig entsteht eine Magersucht im Zusammenhang mit größeren Veränderungen des vertrauten Umfelds. Das kann ein Umzug in eine ganz neue Umgebung oder ein Schulwechsel sein. Typische Risikofaktoren sind auch größere Veränderungen wie ein längerer Auslandsaufenthalt oder der Studienbeginn. Auch die Scheidung der Eltern, oder der Verlust von vertrauten Personen (Tod von Freunden, Auszug von Geschwistern) können Anlass sein, die so entstehenden psychischen Belastungen durch Kontrolle des Essverhaltens wieder in den Griff zu bekommen.

Manchmal reicht allein die Ankündigung von Veränderungen, z. B. zunehmende Konflikte der Eltern mit Androhung von Trennung, um Änderungen des Essverhaltens auszulösen. Nicht selten kann dann die Magersucht eines Kindes letztlich die Familie noch zusammenhalten, weil durch die Essproblematik die anderen Konflikte in den Hintergrund treten.

Auch die Veränderungen, die durch die Pubertät entstehen, können Belastungen sein, auf die junge Menschen mit restriktivem Essen reagieren.

Anlagefaktoren

Manche Menschen sind aufgrund ihrer Anlage eher dafür empfänglich, eine Essstörung zu entwickeln. Diese „Verletzlichkeit“ kann körperlich begründet sein, aber auch in psychischen Ursachen ihre Wurzeln haben. Diese Menschen nehmen z. B. unter Stress besonders leicht oder schnell ab, oder reagieren auf Belastungen automatisch mit Appetitlosigkeit.

Teufelskreis der Magersucht

Durch das restriktive Essen entstehen körperliche Mangelerscheinungen, die die Körperwahrnehmung und das Hunger-Sattheits-Gefühl beeinträchtigen. Die Wahrnehmungsstörungen führen dazu, sich auch dann zu dick zu fühlen, wenn das Gewicht immer geringer wird. Die Folge: Das Essen wird weiter eingeschränkt. Das verminderte Hunger-Sattheits-Gefühl erhöht die Angst, die Kontrolle über das Essen zu verlieren. Bei einigen Essgestörten kommt es durch das verminderte Hunger-Sattheits-Gefühl tatsächlich zu spontanen Heißhungerattacken und Fressanfällen.

Die Folge: Massive Angst vor dem Dickwerden und weitere Einschränkung des Essverhaltens. Nicht wenige Betroffene setzen zusätzliche Maßnahmen wie Erbrechen, Abführmittel usw. ein, um weiter abzunehmen. Die körperlichen Mangelerscheinungen werden stärker, der Teufelskreis schließt sich. Dazu kommen Belohnungseffekte, sowohl für das restriktive Essen (Erfolg und Kontrolle erleben, Anerkennung) als auch für die Fressanfälle (sie lenken ab von Stress, sie beruhigen und erleichtern für kurze Zeit, vor allem wenn anschließend alles erbrochen werden kann).

Ursachen der Bulimie

Auch die Bulimie wird nicht durch einzelne „typische“ Konflikte, Persönlichkeiten oder Familienmuster verursacht. Dennoch gibt es wie bei der Magersucht bestimmte Risikofaktoren, die die Entstehung einer Bulimia nervosa begünstigen können. Auffällig ist, dass diese denen der Magersucht sehr ähnlich sind:

Vorbilder

Es mehren sich Berichte von Betroffenen, dass sie ihr bulimisches Essverhalten durch Vorbilder in Medien, häufig auch durch Hinweise und Tipps von Freundinnen oder Schulkameradinnen gelernt haben. „Essen so viel man will, ohne Angst vor dem Dicksein“ ‒ damit werden gleich zwei Ideale unserer Gesellschaft erfüllt: Genuss und Schlanksein.

Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln

Um bulimisches Essverhalten zu entwickeln, müssen die Nahrungsmittel, die für Essanfälle benötigt werden, ausreichend und im Notfall jederzeit verfügbar sein. Häufig sind es hochkalorische Süßigkeiten ‒ und die sind heute und in unserer Gesellschaft fast überall und fast rund um die Uhr zu besorgen.

Ein ausgeprägtes Schlankheitsideal

Schlanksein wird in unserer Gesellschaft, und besonders für junge Frauen und Mädchen (zunehmend aber auch für junge Männer), gleichgesetzt mit Schönheit, Attraktivität, Kompetenz und Anerkennung. Das Bedürfnis, möglichst dünn zu sein, kann auch aus dem Vergleich mit Gleichaltrigen („Wer ist erfolgreicher?“, „Wer hält die Diät länger durch?“) entstehen. Manchmal sind es auch Hänseleien über Figur und Körpergewicht, die erst dieses Bedürfnis wecken. Wie auch immer ‒ wenn dieses Ideal, möglichst schlank und dünn zu sein, sehr wichtig wird, besteht ein hohes Risiko, das eigene Essverhalten so sehr zu ändern, dass es unausweichlich zu Mangelerscheinungen und damit zu ernsthaften Essstörungen kommt.

Restriktives Essen

Diäten und kontrolliertes Essen gehören fast schon zum Alltag in unserer modernen Gesellschaft. Kaum eine Frauen- (und seit einiger Zeit auch Männer-) Zeitschrift verzichtet auf regelmäßige Tipps zur „schlanken“ Ernährung. Diäten jedoch sind immer restriktives Essen. Schon nach wenigen Wochen kommt es zu erheblichen Veränderungen des Stoffwechsels und anderer körperlicher Funktionen. Das Risiko für die Entwicklung von Mangelerscheinungen und dauerhaften Essstörungen steigt schon nach kurzer Zeit rapide an. Deshalb: Jede Diät kann der Beginn einer Essstörung sein.

Angst vor dem Dicksein

Sicher einer der mächtigsten Risikofaktoren. Die Angst vor dem Dicksein ist eine Art aus dem Ruder gelaufenes Schlankheitsideal. Jetzt geht es nicht mehr um ein Ideal, das angestrebt wird, sondern um Panik vor dem Dickwerden. Alles, was dick machen könnte, wird vermieden. Viele Lebensmittel werden zu „verbotenen“ Lebensmitteln. Schon der Gedanke an bestimmte Speisen kann diese Angst auslösen. Kalorien werden zu wichtigen Zahlen, um die Angst vor dem Dicksein zu beherrschen. Und damit die Angst gar nicht erst auftritt, schränken sie das Essen immer weiter ein. Auch die eigene Figur oder bestimmte „kritische“ Stellen am Körper, lösen diese Angst aus. Die Folge: Weiter restriktiv essen, weiter fasten, oder auch Erbrechen, Sport, Abführmittel.

Familiäre Faktoren

Ebenso wenig wie „die magersüchtige“ gibt es die typische „bulimische“ Familie. Kinder aus behüteten Familien könnten genauso an Bulimie erkranken wie Kinder aus Familien mit vielen Konflikten. Auffällig ist jedoch auch bei dieser Essstörung, dass viele bulimische Betroffene aus Familien der Mittel- und Oberschicht kommen – die Gründe hierfür sind unklar.

Belastungen

Manchmal entsteht eine bulimische Erkrankung im Zusammenhang mit größeren Veränderungen des vertrauten Umfeldes oder auch in der Folge von traumatischen Erlebnissen (Verlust einer Bezugsperson, Missbrauch oder Misshandlung), wenn die Betroffenen versuchen, die so entstehenden psychischen Belastungen durch Kontrolle des Essverhaltens wieder in den Griff zu bekommen. Für die Bulimie scheint es nämlich typisch zu sein, dass vor allem psychische Irritationen, z. B. Stimmungsschwankungen, depressive Störungen, innere Unruhe, Anspannungen und Druckgefühle, zu Auslösern für bulimisches Verhalten werden, weil diese Irritationen sowohl durch Essanfälle als auch durch Erbrechen kurzfristig ausgeglichen werden können.

Anlagefaktoren

Manche Menschen sind aufgrund ihrer Anlage eher dafür empfänglich, eine Essstörung zu entwickeln. Diese „Verletzlichkeit“ (psychische Labilität oder Irritierbarkeit) kann Teil der Persönlichkeit oder biologisch bedingt sein. Bei vielen Betroffenen ist zu Beginn der Krankheit auch eine Neigung zu leichtem Übergewicht zu beobachten, auf die dann mit Diät und restriktivem Essen reagiert wird.

Teufelskreis der Bulimie

Das restriktive Essen verändert den Stoffwechsel und beeinträchtigt das Hunger-Sattheits-Gefühl. Durch den veränderten Stoffwechsel wird weniger Energie verbrannt, dafür mehr gespeichert. Der Körper „lechzt“ nach Nahrung, spürbar als Heißhunger, wenn die Betroffene einmal mit ausreichender Nahrung konfrontiert ist. Ohne funktionierendes Hunger-Sattheits-Gefühl fehlt aber jetzt die „natürliche“ Kontrolle über das Essen, wenn die psychische Kontrolle in einer solchen Situation einmal nicht funktioniert. So kommt es fast zwangsläufig zu unkontrollierbaren Essanfällen.

Die Folge: massive Angst vor dem Dickwerden und wiederum Einschränkung des Essverhaltens. Die körperlichen Mangelerscheinungen werden stärker, es kommt erneut zu Heißhunger- und Essanfällen, der Teufelskreis schließt sich. Viele Betroffene setzen jetzt zusätzliche Maßnahmen wie Erbrechen, Abführmittel usw. ein, um ihre Angst vor dem Dicksein in den Griff zu bekommen. Sie „lernen“, dass Essanfälle nicht mehr so viel Angst machen, wenn man anschließend alles wieder erbrechen kann. Belohnungseffekte kommen hinzu: Essanfälle bauen inneren Druck ab, sie beruhigen und lenken von depressiven Stimmungen und äußeren Belastungen ab. Und auch das Erbrechen erleichtert und beruhigt.

Mit der Zeit treten also die ursprünglichen Entstehungsbedingungen in den Hintergrund. Die Bulimie entwickelt eine Eigendynamik, weil sie sich durch ihre psychischen und körperlichen Folgen selbst aufrechterhält. Allein mit Einsicht oder Willensstärke ist dieser Teufelskreis kaum zu durchbrechen.

Wege aus der Essstörung: Wie werden Magersucht und Bulimie behandelt?

Auch wenn die Magersucht und die bulimische Erkrankung komplex erscheinen und mit zahlreichen Folgeproblemen einhergehen: Eine erfolgreiche Therapie dieser Essstörungen ist heute sehr gut möglich. Die moderne Psychotherapie, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie hat in zahlreichen Untersuchungen gezeigt, dass es allen Grund gibt, optimistisch zu sein. Mit Hilfe qualifizierter Psychotherapeuten, die auf die Behandlung anorektischer und bulimischer Essstörungen spezialisiert sind, kann auch bei langjährigen Erkrankungen der Teufelskreis der Anorexia oder Bulimia nervosa erfolgreich überwunden werden. Allerdings bleibt ein gewisses Restrisiko bestehen, dass Essstörungen in späteren Lebensumbrüchen oder –krisen wieder aufflammen. Doch auch dann sind die Behandlungsmöglichkeiten gut.

Weil in der Magersucht ebenso wie bei der Bulimie sowohl Psyche als auch Körper der Betroffenen verändert sind, ist es sehr schwer, allein mit Einsicht oder Willensstärke diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Auch der Versuch, allein die Hintergrundkonflikte zu lösen, führt nur selten zum Erfolg. Es ist deshalb unbedingt notwendig, zunächst den körperlichen Mangelzustand zu beheben, was oft nur im Rahmen eines Klinikaufenthaltes möglich ist.

Erst wenn dieser Schritt eingeleitet ist, ist es möglich, die psychischen Faktoren zu ändern, die innerhalb des Teufelskreises wirksam sind. Wenn sich diese Faktoren allmählich verbessern (also die Angst vor Gewichtszunahme kleiner wird, die Körperwahrnehmung realistischer wird, das Hunger-Sattheits-Gefühl wiederkehrt), können zunehmend auch die „äußeren“ Hintergrundkonflikte und Belastungen effektiv bearbeitet und gelöst werden (also alle Faktoren, die für die Essstörung der einzelnen Betroffenen von Bedeutung sind, z. B. die familiäre Situation, die Angst vor der eigenen Weiblichkeit/Männlichkeit oder dem Erwachsenwerden, der Umgang mit Konflikten und Leistung usw.).

Ansatzpunkte der Behandlung bei Magersucht:
Körpergewicht ‒ Essverhalten ‒ Konflikte

Die zentralen Ansatzpunkte für die Behandlung ergeben sich aus den Risikofaktoren:

1. Untergewicht

Der zentrale Faktor ist das Untergewicht, weil durch die damit verbundenen Mangelerscheinungen die anderen Faktoren (keine Hunger-Sattheits-Gefühle mehr, Heißhunger, Wahrnehmungsverzerrungen, Angst vor dem Dicksein, restriktives Essen, psychische Beeinträchtigungen) weiter verstärkt werden. Es ist also zu Anfang der Behandlung unbedingt notwendig, schnell und sicher an Gewicht zuzunehmen. Erst wenn das Normalgewicht wieder erreicht ist, können sich auch die anderen Faktoren normalisieren. Die kontinuierliche Gewichtszunahme bis zum gesunden Zielgewicht ist deshalb das absolut vorrangige Ziel jeder Magersucht-Behandlung.

Allerdings ist für fast jeden magersüchtigen Jugendlichen oder Erwachsenen die Angst vor der Gewichtszunahme viel zu groß, um eine solche Veränderung leichten Herzens zu schaffen. Und dies auch noch über längere Zeit, manchmal Monate, durchzuhalten. In dieser Phase ist es hilfreich, Nahrungsmittel als eine Art Medikament zu betrachten. Die Verantwortung für die richtige Dosierung und die regelmäßige Einnahme kann deshalb auch zunächst bei den behandelnden Psychotherapeuten und Ärzten liegen.

Je mehr sich das Gewicht dem gesunden BMI annähert, kann die Behandlung individualisiert und mehr der Selbstverantwortung der Betroffenen überlassen werden. Zum Beispiel bei der Auswahl und Menge des Essens. Dies ist eine sehr wichtige Therapiephase, denn umso besser es den Betroffenen gelingt, die notwendigen Änderungen in die eigene Hand zu nehmen, also zur „Expertin“ bzw. zum „Experten“ der eigenen Erkrankung und ihrer Behandlung zu werden, desto dauerhafter und stabiler werden auch die Therapieerfolge sein.

2. Aufrechterhaltende Faktoren

Durch eine Normalisierung des Essverhaltens wird der körperliche Stoffwechsel wiederhergestellt, und mit zunehmendem Körpergewicht werden auch die Mangelerscheinungen und ihre Folgen behoben. Bei einigen Betroffenen reduziert sich allein dadurch die Angst vor dem Dicksein. Meistens muss sie jedoch noch gesondert psychotherapeutisch behandelt werden, da die Angst vor dem Dicksein auch noch aus anderen Quellen gespeist wird, wie z. B. dem Schlankheitsideal.

Auch die Tendenz zu Heißhungerattacken wird mit der Normalisierung des Essverhaltens geringer, braucht aber zusätzliche Maßnahmen, um ganz überwunden zu werden. Gleiches gilt für die Körperschemastörungen, die zwar mit zunehmendem Körpergewicht abnehmen, aber ebenfalls eine gezielte Therapie benötigen. Und auch das gestörte Essverhalten selbst muss mit speziellen therapeutischen Übungen systematisch verbessert und normalisiert werden, um auf Dauer ein stabiles, ausgewogenes Essverhalten ohne Einschränkung, ohne Erbrechen oder andere Gegenmaßnahmen zu erreichen.

3. Hintergrundkonflikte

Schließlich werden ‒ allerdings ist dies erst mit allmählicher Gewichtszunahme möglich ‒ auch die „äußeren“ Faktoren des Teufelskreises verändert: Die Betroffenen erkennen und lernen, dass „Funktionen“, die bisher die Essstörung hatte, auch durch andere Verhaltensweisen übernommen werden können. Das Schlankheitsideal wird hinterfragt und verliert durch den Aufbau von Alternativen an Macht. Darüber hinaus werden in der Psychotherapie all die persönlichen Hintergrundfaktoren, wie z. B. Konflikte in der Familie, Probleme in der Schule, Stress mit Beziehungen, Angst vor dem Erwachsenwerden oder vor dem Frau- oder Mann-Sein, bearbeitet, um Lösungen zu finden, die einen dauerhaften Erfolg der Behandlung absichern.

Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung der Anorexia nervosa besteht immer aus verschiedenen Elementen. Um jedem Betroffenen eine möglichst maßgeschneiderte Behandlung zu gewährleisten, werden diese dem individuellen Bedarf entsprechend miteinander kombiniert und an die persönliche Situation des Patienten angepasst.

Dauer der Behandlung

Ein sehr wichtiger Punkt in der Therapie der Anorexia nervosa muss deutlich erwähnt werden: Die Behandlung der Magersucht dauert meist länger als die Behandlung anderer psychischer Erkrankungen, auch bei Intensivkonzepten mit einer vergleichsweise kürzeren Therapiedauer. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Körpergewicht, das in der Therapie erreicht werden muss, um sicher zu sein, dass die Magersucht auch überwunden werden kann.

Weitere Informationen zur Behandlung der Magersucht erhalten Sie hier.

Ansatzpunkte der Behandlung bei Bulimie:
Essverhalten ‒ Angst vor dem Dicksein ‒ Heißhungerattacken ‒ Konflikte

Auch hier ergeben sich die zentralen Ansatzpunkte für die Behandlung aus den Risikofaktoren:

1. Restriktives Essverhalten

Es ist von zentraler Bedeutung, den körperlichen Mangelzustand direkt und gezielt zu beheben, weil es sonst zwangsläufig weiter zu Heißhungerattacken kommt. Und die Normalisierung des Stoffwechsels ist nur über eine Normalisierung des Essverhaltens möglich. Und das bedeutet: ausreichend Kalorien pro Tag, verteilt auf mehrere Mahlzeiten, ausgewogene Zusammensetzung aus Fett, Eiweiß und Kohlehydraten.

2. Angst vor dem Dicksein

Ein normales Essverhalten löst bei den Betroffenen Angst aus. Denn Normalisierung des Essverhaltens bedeutet auch wieder die Lebensmittel zu essen, die sie sich aus Angst vor Gewichtszunahme verboten haben. Darum ist die Behandlung der Angst vor dem Dicksein ein ganz wichtiger und notwendiger Therapiebaustein.

3. Heißhungerattacken und Essanfälle

Schon diese beiden ersten Therapieschritte (Normalisierung des Essverhaltens und damit Behebung des körperlichen Mangelzustands, sowie Überwindung der Angst vor Gewichtszunahme) führen zu deutlich weniger Heißhungerattacken. Weil aber viele Essanfälle auch aufgrund von Stress oder Stimmungsschwankungen entstehen und dann kaum zu kontrollieren sind, werden die Heißhungerattacken mit speziellen Übungen gesondert behandelt. Die Betroffenen sollten die Erfahrung machen, dass auch in kritischen Situationen nicht automatisch Heißhunger entstehen muss.

4. Konflikte und Schlankheitsideal

Wenn sich das Essverhalten normalisiert, die Angst vor dem Dicksein reduziert und die Heißhungerattacken weniger werden, ist es für viele Betroffene sehr wichtig zu lernen, wie sie besser mit Stimmungsschwankungen, Konflikten und Belastungen umgehen und auch das übermächtige Bedürfnis nach Schlankheit überwinden können. Dabei geht es darum, sich von alten Sichtweisen zu verabschieden, neue Einsichten zu erwerben und vor allem auch neue Strategien zu lernen, besser als mit der Hilfe von Essstörungen Lösungen für Konflikte und Belastungen zu finden.
Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung der Bulimia nervosa besteht also aus mehreren verschiedenen Elementen. Sie müssen miteinander kombiniert werden, um eine sichere und langfristig stabile Änderung des Essverhaltens und damit dauerhafte Überwindung des bulimischen Teufelskreises zu gewährleisten.

Wie die Therapieelemente kombiniert werden, hängt von der persönlichen Ausprägung der Essstörung ab. Jede Therapie der Bulimie wird auf die individuelle Situation zugeschnitten, damit jeder Betroffene eine möglichst maßgeschneiderte Behandlung erhält.

Weitere Informationen zur Behandlung der Bulimie erhalten Sie hier.

Quelle: © Pressebüro für Medizin & Gesundheit | Katja Schepers – Am kleinen Anger 21, 14109 Berlin