Münster (mfm/sw) – Wenn der Körper abstößt, was ihm eigentlich helfen soll: Die Rede ist von Medikamenten-Resistenz (englisch: Treatment-Resistance, kurz TR), einem immer häufiger auftretenden Problem – auch bei psychischen Störungen. Rund ein Drittel der Patienten entwickelt in der Therapie eine TR. Wie es dazu kommt und wie dies frühzeitig erkennbar – und im besten Fall behandelbar – ist, konnte die Medizin noch nicht klären. Um der TR bei Psychopharmaka näher auf den Grund zu gehen, haben sich nun Forscherinnen und Forscher aus zwölf Ländern im EU-Projekt PSYCH-STRATA zusammengetan. Ihr Ziel: die Erstellung eines „Biotypen“ zur frühzeitigen Erkennung und Behandlung von Patienten mit einem Risiko für TR. Mit einer EU-Förderung von rund 10,8 Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren geht das Projekt nun an den Start. Leiter ist der Medizinprofessor Prof. Bernhard Baune von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster.
Welche Erfahrungen machen Patienten, die an einer schweren psychischen Erkrankung – etwa der Schizophrenie – leiden, bei denen die Medikamente jedoch nicht anschlagen? Das weiß der Sprecher und Koordinator von PSYCH-STRATA: „Wer frühe Anzeichen einer Therapieresistenz aufweist, erhält in der Regel keine angemessene frühzeitig intensive pharmakologische Behandlung, sondern durchläuft schrittweise einen Trial-and-Error-Behandlungsansatz“, erläutert Prof. Baune. Als Direktor der münsterschen Uniklinik für Psychische Gesundheit ist er selbst mit den Betroffenen konfrontiert. Resistenzen seien häufig das Resultat von langfristigen vergeblichen Behandlungen, sagt der Experte – genau davor soll PSYCH-STRATA Menschen mit einem TR-Risiko künftig bewahren.
Allerdings: Der Weg zur frühzeitigen Erkennung und zu einem individuellen Behandlungsplan ist noch weit: „Erstens fehlen wirksame Methoden zur Identifizierung von Personen mit einem Risiko für TR in einem frühen Krankheitsstadium. Zweitens bedarf es personalisierter und wirksamer Behandlungsstrategien sowie effizienter Verfahren zur Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis“, erläutert Prof. Baune. PSYCH-STRATA kombiniert daher Grundlagenforschung und klinische Tests. Der erste Schritt ist die Untersuchung der biologischen Grundlagen der Medikamenten-Resistenz; in einem zweiten kommt ein – für die Psychiatrie völlig neues – Verfahren ins Spiel: „Wir arbeiten an einer Biomarker-Identifikation mit Multi-Omics. Das bedeutet, dass wir eine Analyse auf der Grundlage einer noch nie dagewesenen Sammlung von Daten vornehmen: genetische, biologische, digitale psychische und klinische“, beschreibt der Klinikdirektor das Konzept.
Das derart entwickelte Instrument der Früherkennung wird anschließend in klinischen Settings getestet: „Wir sprechen von sogenannten ‚Mental Health Boards‘, die man sich so ähnlich vorstellen kann wie ‚Tumor Boards‘, also wie eine Expertenrunde aus verschiedenen Fachrichtungen rund um die Patienten und das Krankheitsbild“. Eine weitere Besonderheit von PSYCH-STRATA ist laut Michael Ziller, Professor für „Functional Genomics“ der Klinik für Psychische Gesundheit und Co-Antragsteller sowie Co-Koordinator des Projektes, das Machine Learning: Angestrebt werde, dass sich das individuelle Risiko einer TR und der Behandlungserfolg anhand von kombinierten klinischen, genetischen und biologischen Tests künftig automatisiert „vorhersagen“ lasse.
Neben Münster sind 26 weitere Institutionen an dem neuen EU-Projekt beteiligt; darunter auch Kliniken, Institute und Unternehmen aus Israel, Australien und dem europäischen Ausland. Koordinator Baune ist zuversichtlich bezüglich neuer Erkenntnisse – und freut sich auf ein Vorhaben, dessen Methoden nach seiner Einschätzung „in der Psychiatrie ein völliges Novum darstellen“.