Bild: Die angeborene Bluterkrankung Sichelzellkrankheit stellt Patientinnen und Patienten sowie deren Familien vor große Herausforderungen. Foto: DJD/Vertex Pharmaceuticals (Germany)/kalafoto – stock.adobe.com (KI generiert)
Was man über die lebensbedrohliche Erbkrankheit wissen sollte
(DJD) – Von dieser Erbkrankheit dürften nur die wenigsten Menschen jemals gehört haben, und doch betrifft sie weltweit schätzungsweise 300.000 bis 400.000 Neugeborene pro Jahr: die sogenannte Sichelzellkrankheit (SCD). Sie ist oftmals lebensbedrohlich, schreitet voran – und die medizinische Versorgung stellt die Erkrankten und das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Hier beantworten wir Ihnen vier der wichtigsten Fragen zur Sichelzellkrankheit.
Welche Symptome zeigen sich bei der Sichelzellkrankheit?
Erste Symtome treten für gewöhnlich etwa drei bis sechs Monate nach Geburt auf. SCD kann vor allem zu extrem starken Schmerzen führen, sogenannten Schmerzkrisen, wenn fehlgeformte oder „gesichelte“ rote Blutkörperchen Blutgefäße verstopfen. Dies kann zu Organschäden und einer verkürzten Lebenserwartung führen – im Durchschnitt liegt diese bei nur 45 Jahren. Bei Patientinnen und Patienten treten neben den Schmerzkrisen verschiedene weitere Symptome auf, wie Schlaganfälle, Blutarmut (Anämie) und Gelbsucht. Menschen mit SCD haben oft eine geschädigte Milz, was sie anfällig für bakterielle Infektionen macht.
Gibt es eine Chance auf Heilung bei SCD?
Die einzige Chance auf eine kurative Therapie der Sichelzellkrankheit ist bislang die Stammzelltransplantation, die aber nur für einen kleinen Teil der Erkrankten infrage kommt und medizinische Risiken birgt. In den meisten Fällen konzentriert sich die Therapie auf Schmerzlinderung und die Begrenzung von Organschäden. Daher bedeutet die Krankheit für die meisten Betroffenen lebenslange Einnahme von Medikamenten und häufige Krankenhausaufenthalte. Zusätzlich zu der Belastung durch die medizinische Behandlung wirkt sich die Krankheit auch auf die Lebensqualität und den Alltag aus. Viele Menschen mit SCD sind aufgrund der Beschwerden nicht erwerbsfähig oder können einer geregelten Beschäftigung nur mit einer erheblichen Anzahl an Krankheitstagen nachgehen.
Welche Therapien sind bei Sichelzellkrankheit gebräuchlich?
In den meisten Fällen konzentriert sich die Therapie im Moment noch auf die Schmerzlinderung und die Begrenzung von Organschäden, was bei den meisten Betroffenen eine lebenslange Gabe von Medikamenten, manchmal auch regelmäßige Bluttransfusionen und häufige Klinikaufenthalte erfordert.
Welche Schwierigkeiten haben Betroffene im Leben, welche Hilfe bekommen sie und wo gibt es Informationen?
Zusätzlich zu der Belastung durch die medizinische Behandlung selbst hat die SCD auch erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität und andere Bereiche des Alltags. Oftmals klagen die Betroffenen über eine bleierne Müdigkeit, die sogenannte Fatigue, die in ihrem Ausmaß mit der Fatigue anämischer Krebspatienten vergleichbar ist. Die Erkrankten haben deshalb einen hohen Informationsbedarf – alles Wichtige zum Umgang mit der Krankheit erfahren sie beispielsweise auf der Seite realtalk-sichelzellkrankheit.de. Viele Erkrankte sind auf eine umfangreiche Betreuung durch Psychologinnen und Psychologen, Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie Sozialarbeiterinnen und -arbeiter angewiesen, um ihren Alltag zu meistern. Informationen zur Krankheit: realtalk-sichelzellkrankheit.de.
Bild: Prof. Matthias Stelljes, Leiter des Stammzelltransplantationsprogramm der Medizinischen Klinik A am UKM und Forscher an der Medizinischen Fakultät der WWU Münster – Foto (UKM/Wibberg).
Behandlungsergebnisse stellen weltweiten Therapie-Standard im Falle eines Rückfalls oder eines frühen Therapieversagen in Frage
Münster (ukm/maz) – Wenn zwischen einer Krebsdiagnose, Stammzelltransplantation und Beginn der Nachsorge nur wenige Monate liegen, werden Patientinnen und Patienten mit Akuter Myeloischer Leukämie (AML) nicht nur mehrwöchige, stationäre Chemotherapien erspart. In Zeiten von Ressourcenengpässen durch Personalmangel und Bettensperrungen profitieren auch die Kliniken und können wiederum anderen Patientinnen und Patienten schneller gerecht werden. Dass dieser Weg einer zeitnahen Stammzelltransplantation zukunftsweisend ist, zeigte jetzt eine bundesweite Studie* der Unikliniken Dresden und Münster, an der Prof. Matthias Stelljes aus Münster maßgeblich beteiligt war. Im Rahmen des von ihm geleiteten Stammzelltransplantationsprogramm der Medizinischen Klinik A am UKM (Universitätsklinikum Münster) werden Patientinnen und Patienten bereits nach der neuen Therapie-Strategie behandelt.
Herr Prof. Stelljes, aktuell sieht der weltweite Therapie-Standard bei Akuter Myeloischer Leukämie (AML) vor, dass Patientinnen und Patienten, die auf die erste Therapie nicht angesprochen haben, durch eine drei bis vierwöchige intensive Chemotherapie mit stationärem Aufenthalt eine Komplettremission – eine vorläufige vollständige Zurückdrängung der Erkrankung – erreicht werden sollte, bevor eine Stammzelltransplantation erfolgen kann. Sie sprechen sich nun gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen Dresden für eine sofortige Transplantation aus. Worauf basiert diese Empfehlung?
Wir haben eine Studie mit 281 erwachsenen AML-Patienten gemacht, die nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt wurden. Bei Gruppe 1 wurde in Vorbereitung auf die Transplantation versucht, eine Komplettremission zu erzielen. Bei Gruppe 2 erfolgte bei Vorliegen eines Spenders eine zwölftägige vorbereitende Therapie und anschließende sofortige Stammzelltransplantation. Das leukämiefreie Überleben ein Jahr nach der Transplantation zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen (69 % vs. 71,5 %), ebenso wie das Gesamtüberleben ein Jahr (71,9 % vs. 69,1 %) und drei Jahre nach Studieneinschluss (54,2 % vs. 51 %).
Einmal ganz allgemein gefragt: Welchen Stellenwert hat eine Transplantation mit Blick auf die Therapieoptionen bei AML?
Die allogene Stammzelltransplantation ist die effektivste Behandlungsmöglichkeit bei Patienten mit therapieresistenter oder wiederkehrender AML. Die bislang angestrebte vorherige Komplettremission ist jedoch selbst mit intensiven Chemotherapien nur bei etwa 50 Prozent der Betroffenen überhaupt erreichbar. Ist die entsprechende Behandlung nicht erfolgreich, erhalten Patienten oft weitere Therapien mit ähnlich unbefriedigenden Erfolgschancen statt einer direkten Transplantation.
Ihre Empfehlung scheint damit nicht nur eine neue Chance für viele Patientinnen und Patienten zu sein, sondern klingt auch weniger belastend. Oder fällt die vorbereitende, wenn auch verkürzte Therapie stärker aus?
Nein, es ist quasi die gleiche vorbereitende Therapie, die die Patienten bisher auch direkt vor der Stammzelltransplantation im Nachgang der konventionellen intensiven Chemotherapie erhalten haben. Im Regelfall war diese sogenannte Konditionierungstherapie dann sechs bis sieben Tagen und nur, wenn der Patient nicht darauf angesprochen hat, haben wir sie auf elf Tage gesetzt. Bei einer sofortigen Transplantation, die wir aufgrund der Ergebnisse nun grundsätzlich empfehlen würden, setzen wir diese elf- bis zwölftägige Konditionierungstherapie direkt als Standard an.
Wie verhält es sich mit der Nachsorge? Ist der neue Ansatz tatsächlich eine Verkürzung der Therapie oder am Ende lediglich eine Verlagerung?
Patienten erhalten nach der Transplantation die übliche intensivere Nachsorge, mindestens für drei Jahre nach Transplantation, wie sonst auch. Die bisher vorangegangene zusätzliche Chemotherapie bei initialen Therapieversagen oder Rückfall der Leukämie entfallen gänzlich. Dies bedeutet, dass die Dauer der stationären Therapie um etwa vier Wochen verringert wird.
Wenn die Ergebnisse, wie Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen sagen, weltweit die Therapie verändern werden: Wo wird es zu den größten Auswirkungen kommen?
Mit dieser Studie ist klar belegt, dass bei Chemotherapie-refraktärer AML (Akuter Myeloischer Leukämie) eine schnelle Transplantation angestrebt werden sollte und damit ist das Ergebnis höchst relevant für alle Kliniken und Zentren weltweit. In den USA wird sie zum Beispiel großen Einfluss haben. Dort werden Patienten derzeit nur selten transplantiert, wenn keine Komplettremission gelungen ist. Wir konnten jetzt zeigen, dass es falsch ist, betroffenen Patienten eine Stammzelltransplantation vorzuenthalten, die vielfach die einzige Chance auf Heilung bedeutet. Das wird zu einem Umdenken führen.
Und wie werden diese Auswirkungen generell in Kliniken spürbar sein?
Das Wichtigste ist in der heutigen Zeit, in der wir aufgrund diverser Faktoren im Krankenhaus begrenzte Ressourcen wie Fachkräfte und Betten haben, dass wir diese bestmöglich einsetzen, um dem Behandlungsbedarf aller Patienten gerecht zu werden. Wenn wir auf eine drei bis vierwöchige stationäre Chemotherapie verzichten können, wird eindrucksvoll klar, dass wir Betroffenen nicht nur viel Leid ersparen, sondern welche Kapazitäten sich daraus für die schnellere Behandlung anderer Patienten ergeben.
Apropos Schnelligkeit: Wie lange dauert eigentlich eine Spendersuche?
Wir in Münster kalkulieren mit zwei bis drei Wochen. Diese kurze Suchdauer ist dadurch möglich, dass wir am UKM eine eigene Sucheinheit haben. Deshalb ist meine klare Empfehlung: Die Spendersuche muss standardisiert mit der Erstdiagnose erfolgen, das wird aktuell vielerorts leider noch nicht gemacht.
Die vorbereitende Therapie beginnt aber dennoch erst, wenn der Spender gefunden ist.
Das ist richtig. Aufgrund der erfreulicherweise hohen Matching-Quote nach wenigen Tagen schaffen wir es mit den elf bis zwölf Tagen der vorbereitenden Therapie eine Transplantation innerhalb eines Monats ab Indikationsstellung. Das ist bei einer Krebsdiagnose nicht nur medizinisch gesehen sensationell, sondern vor allem auch für die Patienten ein nicht zu unterschätzender Vorteil, weil die schockierende Erstnachricht schnell von der Therapie und anschließenden Nachsorge abgelöst wird.
Da in einigen deutschen Krebszentren und auch in Münster nun bereits nach diesen Erkenntnissen gehandelt wird: Können Sie noch einen Ausblick geben, ab wann Patientinnen und Patienten flächendeckend von diesen Ergebnissen profitieren oder müssen noch weitere, möglicherweise größere Studien folgen?
Unsere Studie war ja nicht die erste Studie, wir hatten schon gute Belege, die auf eine gleichberechtige Wirksamkeit hingedeutet haben. Bisher lag aber noch keine randomisierte klinische Studie vor, also in der die allein zufallsbedingte Zuweisung der individuellen Therapie erfolgte. Es ist aber unter wissenschaftlicher Betrachtung keine weitere Studie notwendig, um das Ergebnis zu bestätigen, sodass davon auszugehen ist, dass die internationalen Therapie-Standards möglichst bald an die neuen Erkenntnisse angepasst werden.
* M. Stelljes et al.: In Patients with Relapsed/Refractory AML Sequential Conditioning and Immediate Allogeneic Stem Cell Transplantation (allo-HCT) Results in Similar Overall and Leukemia-Free Survival Compared to Intensive Remission Induction Chemotherapy Followed By Allo-HCT: Results from the Randomized Phase III ASAP Trial
Die Studie wurde vom Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) geleitet, von der DKMS als arzneimittelrechtlicher Sponsor ermöglicht und organisiert und von der Studienallianz Leukämie (SAL) und der Kooperativen Deutschen Transplantationsstudiengruppe getragen.
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