Corona-Update: Urlaubsrückkehrer, Schulstart und der Ausblick auf den Herbst

Corona-Update: Urlaubsrückkehrer, Schulstart und der Ausblick auf den Herbst

Bild: Prof. Alex W. Friedrich (l.), Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKM, und Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, geben regelmäßig Corona-Updates zur Einschätzung der Situation. (Foto: WWU / M. Heine)

Münster (ukm/äkwl) – Die Ferien sind vorbei und die Schüler*innen sind zurück in den Schulen. Das NRW-Schulministerium hat für das neue Schuljahr ein Corona-Schutzkonzept vorgelegt, das derzeit verhältnismäßig wenige Einschränkungen vorsieht. Das könnte sich im Herbst ändern, denn die Erfahrung der letzten beiden Pandemie-Jahre zeigt, dass in den Monaten der kalten Jahreszeit beim Infektionsgeschehen andere Regeln gelten. Welche Maßnahmen dann zum Tragen kommen sollten, ob diese überall in Deutschland gleich oder durchaus regional unterschiedlich sein können und was sich in Bezug auf einen an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff gerade tut – dazu haben sich der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Hans-Albert Gehle, und der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des UKM (Universitätsklinikum Münster), Univ.-Prof. Dr. med. Alex W. Friedrich, heute während des inzwischen etablierten Formats „Corona-Update“ geäußert. Im Folgenden haben wir die Hauptaussagen zusammengestellt.

Welche Maßnahmen müssen wir im Herbst ergreifen?
Gehle: „Wir werden auf die Maßnahmen, die wir aus dem letzten Herbst und Winter kennen, nicht verzichten können. Das Maskentragen sollte relativ früh beginnen, weil wir ja jetzt mit hohen Zahlen aus dem Sommer kommen und es wird auch nichts Anderes schützen. Natürlich gelten weiter die AHA-Regeln, das heißt Hygiene, Abstand halten, Maske tragen, Hände bei sich behalten und eben auch desinfizieren. Das kennen wir alles aus dem letzten Winter und wir hoffen natürlich, dass wir parallel dazu eine neue Impfung bekommen.“

Friedrich: „Testen, Masken, Mitdenken. Was sich im kommenden Herbst abspielen wird, darauf müssen wir uns für die kommenden Jahre einstellen. Es ist ein normales Leben, aber eben mit den entsprechenden Hygienemaßnahmen. Wenn man krank ist, etwas Fieber hat, sollte man konsequent zu Hause bleiben. Keine Pillen schlucken und trotzdem zur Arbeit gehen. Wir werden in den nächsten Jahren immer zwischen einem Sommerbetrieb, in dem es etwas lockerer zugehen darf, und einem Winterbetrieb, mit entsprechenden Schutzmaßnahmen, wechseln.“

Wie ist die Personalsituation in den Kliniken?
Friedrich: „Die Situation ist wegen der Sommerwelle mit doch deutlich mehr infizierten Mitarbeitenden als in den vergangenen beiden Sommern angespannt. Hinzu kommt, dass viele im Urlaub sind. Wenn sie jetzt alle aus dem Urlaub zurückkommen, dann sehen wir wieder vermehrt Infektionen. Ich mache mir da keine Illusionen, es wird angespannt bleiben. Darüber müssen wir uns bewusst sein und von dauerhaft niedrigen Kapazitäten beim Personal ausgehen. Das ist der neue Normalzustand, den wir akzeptieren müssen.“

Was bedeutet das bei einem Anstieg der Infektionszahlen?
Gehle: „Wir müssen konkret damit rechnen, dass auch die Intensivkapazitäten wieder äußerst knapp werden. Darum nochmal die dringende Empfehlung, wirklich für jeden a) sich mindestens drei Mal impfen zu lassen, b) wenn es eine neue Impfung gibt, sich nochmal impfen zu lassen und c) sich an die AHA-Regeln und AHL-Regeln zu halten.“

Friedrich: „Es ist langfristig nicht gut, wenn bei immer wieder steigenden Hospitalisierungen von Covid-Patienten in der Infektsaison, diese sozusagen dauerhaft konkurrieren mit anderen Patienten, die auch ein Recht auf Behandlung haben. Es gibt Länder, die behandeln in speziellen Kliniken die Covid-Patienten, sie kohortieren sie dort. Ich will nicht sagen, dass das die beste Lösung ist. Aber ich könnte mir vorstellen, es neu zu denken, wie wir das in unserer Region regeln wollen. Dabei kann es gut sein, dass es die beste Lösung ist, jedes Krankenhaus behandelt seinen Covid-Patienten selbst – aber man muss diesen Denkprozess zumindest einmal anstoßen, da uns das Problem ab jetzt dauerhaft begleiten wird.“

Wie sieht es mit der vierten Impfung / 2. Booster aus?
Gehle: „Biontech und Moderna haben beide angekündigt, zum Herbst hin einen neuen Impfstoff zu haben, dass man ihn klinisch anwenden kann. Ich hoffe natürlich, dass dieses Versprechen eingehalten wird. Wenn das so ist, wäre es gut, dass wir in den Rhythmus hineinkommen, im Spätherbst oder beginnenden Winter zu impfen, um über den Winter zu kommen bis ins neue Jahr. Eigentlich das, was wir von der Influenza auch kennen.“

Tut sich etwas in der Medikamenten-Entwicklung?
Gehle: „Es gibt hier noch keine durchschlagenden Entwicklungen. Die meisten Medikamente, die wir haben müssen sehr früh genommen werden. Dann ist da die Frage der Nebenwirkungen. Und wie bekommt der Hausarzt dieses Medikament, weil er ja derjenige ist, der es anordnen müsste – da gibt es Nachbesserungsbedarf. Wir als Ärztekammer klären da auf, aber bis auf die Medikamente, die wir bis jetzt in dieser frühen Phase kennen, gibt es für die Phase der schweren Erkrankung nichts Neues.“

Werden die Affenpocken zu einer neuen Epidemie?
Friedrich: „Was wir nicht vergessen sollten ist, dass sich mit Ferienende nicht nur Corona ausbreiten wird, sondern auch die Affenpocken. Es gibt keinen Grund, warum diese Infektionen wieder verschwinden sollten. Die Masken, die wir wegen Corona tragen, werden uns zwar helfen, dass sich die Affenpocken nicht ganz so rasant ausbreiten. Trotzdem sind sie hochinfektiös, sodass sie sich früher oder später in allen Bevölkerungsgruppen ausbreiten werden. Viele Fälle bleiben ohne Symptome, sodass sie unter dem Radar bleiben. Es bleibt abzuwarten, ob die Infektion sich wie ein Tsunami ausbreitet oder ob es langsam, quasi endemisch, die Bevölkerung erreicht, die dann weitestgehend gefeit ist. Vielleicht werden die Affenpocken auch zu einer Art Kinderkrankheit. Wir müssen je nach Entwicklung überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, wie früher, Kinder wieder rechtzeitig gegen Pocken zu immunisieren.“

Corona-Update: Auslaufen der bundesweiten Maßnahmen…

Corona-Update: Auslaufen der bundesweiten Maßnahmen…

Bild: Prof. Alex W. Friedrich, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKM und Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe geben regelmäßig Corona-Updates zur Einschätzung der Situation.

… „Hotspot-Politik“ und vierte Impfung

Mit dem Stichtag 19. März 2022 sind fast alle bundesweiten Schutzmaßnahmen gegen das SARS-CoV2-Virus ausgelaufen. Die bis dahin gültigen weitreichenden Einschränkungen des gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens wurden in weiten Teilen zurückgenommen. Stattdessen soll das Infektionsgeschehens durch eine „Hotspot-Politik“ geregelt werden. Das heißt, die Bundesländer sollen in Corona-Hotspots mit hohen Inzidenzen geeignete Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens ergreifen.

Münster (ukm/äkwl) – Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Hans-Albert Gehle, und der neue Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des UKM (Universitätsklinikum Münster), Univ.-Prof. Dr. med. Alex W. Friedrich, sehen die Rücknahme der bundesweiten Maßnahmen zu diesem frühen Zeitpunkt äußerst kritisch. Während ihrer heutigen Pressekonferenz zu den aktuellen Entwicklungen richteten sie vor dem Hintergrund noch nie dagewesen hoher Infektionszahlen eine Warnung an die Verantwortlichen der Politik. Es sei außerdem davon auszugehen, dass die Dunkelziffer der Infizierten in Folge nachlassender Testungen und Meldungen an die Gesundheitsämter wahrscheinlich weitaus höher ausfalle, so Gehle und Friedrich unisono.

Die Situation in den Krankenhäusern zeige zudem eine völlig andere Wirklichkeit als sie die Lockerungen vermuten ließen. Verursacht durch gleichbleibend hohe Patientenzahlen, aber auch durch infizierte Klinikbeschäftigte und solche in Quarantäne, sei es fraglich, ob die gesundheitliche Gesamtversorgung der Bürger qualitativ aufrechterhalten werden könnte. „Zahlreiche elektive Eingriffe müssen derzeit warten, wichtige ambulante Termine können nicht angeboten werden“, so der Ärztliche Direktor des UKM. „Wir haben unsere Leistungen bis an eine Schmerzgrenze zurückgefahren und weisen darauf hin, dass – zusammengenommen mit dem Mangel an Pflegekräften – wir in eine Situation laufen, bei denen wir viele andere Menschen, die einer Behandlung bedürfen, zu spät sehen und nicht rechtzeitig behandeln können.“

Und Kammerpräsident Gehle ergänzt: „Sollte es bei den geplanten Lockerungen bleiben, prophezeien wir, dass wir im Sommer 2022, anders als in den beiden Sommern davor, keine Entspannung der Lage erfahren werden. Damit gibt es dann keine Atempause. Weder für die Bevölkerung, und schon gar nicht für die Beschäftigten im Gesundheitswesen.“

Im Folgenden haben wir die Hauptaussagen der heutigen Pressekonferenz für Sie zusammengestellt.

Einschätzung der Auswirkungen durch die Lockerungen

Gehle: „Die Infektionszahlen steigen seit Tagen immer weiter und erreichen europaweite Rekordhöhen; ein Ende ist nicht abzusehen. Die Pandemie ist nicht vorbei. Flächendeckende Lockerungen wären deshalb ein völlig falsches Signal, das nur scheinbare Sicherheit vermittelt. Wir können noch lange keine Entwarnung geben, die Schutzmaßnahmen müssen bestehen bleiben. Der Automatismus von Sonnenschein, dem Ende der Pandemie und gesellschaftlicher Freiheit ist ein gefährlicher Trugschluss und verleitet zu Leichtsinn im Umgang mit dem Virus. Ich warne auch vor einem Flickenteppich von Maßnahmen in den Bundesländern.

Friedrich: „Man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Inzidenzen steigen werden, wenn wir die Maßnahmen so weit zurückfahren. Wir sind jahreszeitlich erst im März. Am besten können wir sehen, was passieren wird, wenn wir in die Niederlande schauen: Die haben dasselbe vor drei Wochen gemacht und die Infektions- wie die Hospitalisierungszahlen steigen wieder. Da erreicht man dann irgendwann ein Niveau, in dem wir gar nicht mehr so viel testen können, wie wir müssten. In Wahrheit sind die Infektionszahlen dann noch deutlich höher, aber das wird nicht abgebildet. Erst Mitte April wird sich, bedingt durch das Frühjahr, die Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus verlangsamen. Daher sollten wir mit einer Rücknahme der Maßnahmen noch bis zu vier Wochen warten.“

Situation in den Kliniken / in den Arztpraxen

Gehle: „Die steigenden Inzidenzen gefährden die Grundstruktur unseres Gesundheitswesens. Es kommt zu erheblichen Personalausfällen in Krankenhäusern und Praxen, immer weniger Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte müssen immer mehr kollegiale Ausfälle auffangen. Notwendige Therapien und OPs bleiben dabei auf der Strecke. Auch der Öffentliche Gesundheitsdienst arbeitet seit Monaten hart an seinen Grenzen des Möglichen.“

Friedrich: „Wir haben in den Kliniken immer mehr mit dem Virus infizierte Patienten. Nur etwa die Hälfte davon wird wegen einer Covid-Symptomatik eingeliefert, die anderen positiv getesteten Patienten sind wegen anderer Grunderkrankungen hospitalisiert. Aber: Alle Infizierten erfordern eine gesonderte Behandlung, denn wir müssen sie streng von den nicht infizierten Patienten trennen. Der Aufwand ist immer gleich hoch. Gleichzeitig haben wir sehr viele infizierte Mitarbeitende oder solche, die als Kontaktperson in Quarantäne müssen. Es trifft also eine wachsende Zahl von mit Corona-infizierten Patienten auf eine deutlich reduzierte Mitarbeiterschaft. Das ist eine sehr gefährliche Situation, die durch die Rücknahme der Maßnahmen weiter eskalieren könnte.“

Video: Der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des UKM, Prof. Alex W. Friedrich, äußerte sich heute kritisch zur Rücknahme der bundesweiten Maßnahmen.

Vierte Impfung: Warum, ab wann und mit welchem Impfstoff?

Gehle: „Die Impfungen waren von Anbeginn ihres Einsatzes die beste Möglichkeit, die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Leider sind die Impflücken in unserem Land weiterhin vorhanden – und werden anscheinend auch durch neue Totimpfstoffe nicht geschlossen. Aus diesem Grund ist es geradezu kontraproduktiv, per Lockerungen Impfanreize aufzugeben.“

Friedrich: „Sinn macht eine vierte Impfung bei den über 70-Jährigen und den besonders Gefährdeten, auch beim Gesundheitspersonal. Für alle anderen glaube ich, wäre eine vierte Impfung derzeit zu früh. Ich glaube, wenn Anfang bis Mitte Mai der Reproduktions-Wert über 1,5 liegt, dann sollten wir möglichst schnell wieder impfen, um im Sommer eine Entspannung der Lage hinzubekommen. Liegt der R-Wert aber unter 1,5, dann reicht es, wenn wir erst im November impfen, möglicherweise mit einem Impfstoff, der dann an die herrschenden Varianten schon angepasst ist. Wir sollten im Blick haben, dass wir den Großteil der Bevölkerung lieber später als früher zum vierten Mal impfen, also besser erst im Herbst. Wenn wir zu früh impfen, dann kommen wir wieder nicht über den Winter und müssen nachimpfen.“

Ausblick auf den Sommer

Gehle: „Nicht nur müssen die Schutzmaßnahmen beibehalten werden, es gilt auch weiterhin dafür zu sorgen, dass die Impfquoten steigen und Impflücken geschlossen werden. In den dahingehenden Anstrengungen können wir nicht nachlassen, ansonsten gibt es nicht erst im Herbst ein böses Pandemie-Erwachen, sondern droht schon früher ein weiterer Corona-Sommer. Wir müssen uns zukünftig auch um die Langzeitfolgen der Infektionen kümmern: Long Covid und Post Covid werden als medizinische Herausforderungen verstärkt auf uns zukommen.“

Friedrich: „Bleibt die Lage auch im Sommer weiter angespannt, also mit weiter hohen Inzidenzzahlen und gleichbleibend hohen oder sogar steigenden Patientenzahlen, sehe ich die Klinikmitarbeitenden am Anschlag. Meiner Meinung nach müssten wir mit Lockerungen noch vier Wochen warten. Ein Szenario, in dem auch im Sommer viele Corona-infizierte Patienten in die Kliniken kommen, bedeutet – neben der Dauerbelastung für die ungefähr 10 Prozent der Menschen, die in Deutschland insgesamt im Gesundheitssystem arbeiten – auch, dass für Patienten mit anderen Diagnosen die ganze Zeit zu wenige Betten da sind. Damit nimmt man Schäden für andere Menschen, die auch ein Recht auf gesundheitliche Versorgung haben, dauerhaft in Kauf.“

Corona-Update: Booster, Impfungen für Kinder, 2-G oder 3-G (plus)?

Corona-Update: Booster, Impfungen für Kinder, 2-G oder 3-G (plus)?

Bild: Dr. Hans-Albert Gehle; Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und Prof. Hugo Van Aken, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender UKM.(© UKM)

Münster (ukm/äkwl) – Die Prognosen hinsichtlich der Patientenzahlen für die anstehenden Wintermonate sind beunruhigend. Vor dem Hintergrund des exponentiellen Wachstums der Fallzahlen bei gleichzeitig sehr geringen Bettenkapazitäten auf den Intensivstationen haben heute der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Hans-Albert Gehle und der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des UKM (Universitätsklinikum Münster), Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hugo Van Aken an die Bevölkerung appelliert, sich schnell um eine Booster-Impfung zu kümmern. Im Folgenden haben wir die Hauptaussagen der Pressekonferenz zusammengetragen. Außerdem stellen wir Ihnen hier tagesaktuelle Videostatements zu den relevanten Fragestellungen der Pressekonferenz zur Verfügung.

Video: Prof. Hugo Van Aken, Einschätzungen zur Covid-Lage.

Zitate

Einschätzung der generellen Corona-Lage

Gehle:
„Die Infektionszahlen erreichen immer neue Pandemie-Höchstwert, deshalb müssen die Corona-Grundregeln weiterhin unbedingt eingehalten werden: medizinische Masken tragen, Abstandsregeln einhalten, Distanz halten, Kontakte einschränken. Wo es beruflich zu engeren Kontakten kommt, wie etwa in Gesundheits- und Pflegeberufen oder in Schulen und Kitas, muss die 2G-Regel gelten, besser noch 2G-Plus. Sollten die Zahlen weiterhin steigen, müssen wir gegebenenfalls über eine Impfpflicht nicht nur für die Gesundheitsberufe nachdenken.“
Van Aken:
„Die Situation ist dramatischer als man denkt. Ein Virus kennt keine Grenzen. Die hohen Inzidenzzahlen im Süden werden in den nächsten Wochen dazu führen, dass auch bei uns mehr Patienten in die Krankenhäuser kommen. Gegen eine weitere Zunahme bei den Inzidenzzahlen sehe ich in erster Linie eine Beschleunigung bei den Booster-Impfungen. Der Booster ist die beste Maßnahme. Eine neue noch unveröffentlichte Studie aus Schweden legt nahe, dass der Schutz der Impfungen nach sechs Monaten sehr nachlässt. Bei vielen Menschen liegt der Schutz nach Impfung nach dieser Zeit nur noch bei 40 Prozent. Allen voran gefährdet sind Vorerkrankte, Immunsupprimierte und ältere Menschen. Sie sind besonders gefährdet, ernsthaft zu erkranken und in die Krankenhäuser zu müssen.“

Beschleunigung bei Booster-Impfungen

Gehle:
„Boostern auf breiter Front: Die Boosterimpfungen müssen nun schnell, flexibel und unbürokratisch durchgeführt werden. Und alle, die impfen können, müssen mitimpfen: Impfzentren, niedergelassene Kolleginnen und Kollegen, Krankenhäuser, Betriebsärzte.“
Van Aken:
Weite Teile der Bevölkerung sollte noch vor Weihnachten eine Booster-Impfung angeboten bekommen. Dazu müssen wir die Impfzentren wiedereröffnen. Auch unkonventionelle Lösungen wie Impfbusse, mobile Impfteams oder Impfangebote bei kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen sollten wir nutzen, um den Impfschutz der Menschen deutlich zu verbessern. Ohne den Booster ist der Impfschutz nach Ablauf von sechs Monaten nicht mehr vollständig. Das sollte jeder wissen.“

Schließen von Impflücken

Gehle:
„Um die Impflücken zu schließen, sind verstärkt mobile Impfteams sowie ein aufsuchendes Impfangebot notwendig. Die Erfahrung zeigt: Wo Impfbusse stehen, gibt es Warteschlangen, Es gibt also ein Interesse in der Bevölkerung. Die Kommunen können die Impf-Brennpunkte identifizieren, dorthin muss der Impfstoff gebracht werden. In den Betrieben können Betriebsärzte beraten und über das Impfen und Boostern informieren.“
Van Aken:
Es ist für mich unverständlich, dass es noch Menschen gibt, die den Ernst der Lage für sich nicht erkannt haben und sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht haben impfen lassen. Wir können dem nur begegnen, indem wir Impfangebote niederschwellig, ohne große Hürden zugänglich machen. Impfbusse und mobile Angebote werden spontan genutzt. Das gilt selbstverständlich nicht nur für den Booster, sondern auch für alle die, die sich doch noch zu einer Impfung durchringen.“

Impfungen von Kindern zwischen 5 und 11 Jahren

Gehle:
„Eine rasche Entscheidung der STIKO alternativ der EMA zur Impfempfehlung und ein schnelles Freigabeverfahren für Kinder zwischen 5 und 12 Jahren sind wünschenswert. Man kann bereits jetzt mit den Impfvorbereitungen starten, um zur gegebenen Zeit zügig mit den Impfungen beginnen zu können.“
Van Aken:
„Ich selbst würde meine eigenen Enkelkinder impfen lassen. Gesunde Kinder erkranken meist nicht schwer an Covid-19, aber wir wissen bisher leider zu wenig über Langzeitfolgen. Anders als bei den Jugendlichen über 12 Jahren, ist die Altersgruppe zwischen 5 und 11 Jahren nicht überregional mobil. Ich hoffe auf eine baldige Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO).“

2-G oder 3-G? Oder gar 2-G-plus?

Gehle:
„Im Freizeitbereich, bei Sportveranstaltungen, kulturellen Veranstaltungen oder nun bald den Weihnachtsmärkten, müssen scharfe Kontrollen zur Einhaltung der Corona-Regeln gewährleistet sein. Große Veranstaltungen draußen sind nur noch vertretbar mit 2-G, besser mit 2-G-plus, das müsste bundesweit gelten. Außerdem sollten alle Veranstaltungs-Teilnehmer Masken tragen und die Abstände einhalten, um einen kompletten Lockdown zu verhindern. Sollten die Infektionszahlen noch weiter deutlich steigen, wird man darüber reden müssen, auf Großveranstaltungen ganz zu verzichten.“
Van Aken:
„Gestern hat Nordrhein-Westfalen sich sinnvollerweise für eine 2-G-Regelung für alle Veranstaltungen im Freizeitbereich entschieden. Es ist die richtige Entscheidung, dass nur Geimpfte und Genesene zu Freizeitveranstaltungen zugelassen werden, aber meiner Meinung nach wird das nicht ausreichen. Eine neue Studie aus Israel legt nahe, dass Geimpfte ebenso Überträger des Virus sind wie Ungeimpfte. Daher halte ich eine 2-G-plus-Regelung für wesentlich sicherer. Wir schlagen vor, dass bei Veranstaltungen und Versammlungen alle zusätzlich zu 2-G einen Antigen-Schnelltest vor Ort machen. Das gilt auch im Außenbereich für Weihnachtsmärkte. 2-G-plus ist auch ein Plus an Sicherheit.“

Video: Dr. Hans-Albert Gehle, Einschätzungen zur Covid-Lage
Corona-Update (UKM /ÄKWL): Vierte Welle?

Corona-Update (UKM /ÄKWL): Vierte Welle?

Bild: Prof. Ralf Schmitz (UKM Geburtshilfe), Prof. Hugo Van Aken (Vorstandsvorsitzender UKM) und Dr. Hans-Albert Gehle (ÄKWL) gaben heute ein Corona-Update zum Verlauf der vierten Pandemie-Welle. ©Foto (UKM)

Hohe Corona-Inzidenzen in Nordrhein-Westfalen und steigende Patientenzahlen in den Krankenhäusern des Landes zeigen: Die vierte Pandemie-Welle ist da. Angesichts der bevorstehenden Herbst- und Wintersaison raten UKM (Universitätsklinikum Münster) und Ärztekammer-Westfalen-Lippe (ÄKWL) bisher Unentschlossenen eindringlich zur Impfung. Die Patienten auf den Intensivstationen werden immer jünger und gehören nur noch selten zu den identifizierten Risikogruppen. Insbesondere eine Impfung von Schwangeren wird von den Medizinern empfohlen. Und auch für das Krankenhauspersonal wollen sie zeitnah Auffrischimpfungen.

Münster (ukm/aw) – Seit Wochen hat Nordrhein-Westfalen bundesweit die höchsten Corona-Inzidenzzahlen – verantwortlich gemacht werden dafür insbesondere das frühe Ende der Sommerferien und der Schulstart. Der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des UKM (Universitätsklinikum Münster), Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hugo Van Aken, und der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), Dr. med. Hans-Albert Gehle, zeigen sich angesichts der ungebrochen hohen Zahl der Infektionen im Land besorgt. „Mit den hohen Infektionszahlen ist auch die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen der Krankenhäuser proportional angestiegen“, so Van Aken beim heutigen gemeinsamen Pressegespräch. „Am UKM sind diese Patienten alle in der Altersgruppe zwischen 20 und 49 Jahren. Es handelt sich ausschließlich um nicht-immunisierte Patienten. Die Verläufe sind allesamt schwer – die meisten dieser Patienten brauchen ein ECMO-Verfahren. Wir gehen davon aus, dass sich die Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus als noch letaler erweisen könnte als das Ursprungsvirus.“

Ärztekammerpräsident Gehle weist dezidiert darauf hin, dass nun möglichst bald Corona-Auffrischimpfungen des Klinikpersonals vorgenommen werden müssten. „Auch wenn noch kein Impfstoff für eine Booster-Impfung zugelassen ist, können wir hier nicht länger warten und müssen die Drittimpfungen mit den vorhandenen Impfstoffen beginnen. Ärzte und Pflegende sind sonst potentielle Überträger und können natürlich auch selbst erkranken, wenn auch mit leichteren Verläufen.“ Der Ärztliche Direktor des UKM, Van Aken, wünscht sich vor diesem Hintergrund eine 2G-Regelung für die Beschäftigten im Gesundheitswesen. „Es ist in Ordnung, wenn in der Bevölkerung für Veranstaltungen 3G gilt. Aber unsere Angestellten arbeiten in einem besonderen Umfeld mit sehr vulnerablen Patienten. Diese müssen wir schützen. Eine tägliche Testung ist nicht sicher genug, deshalb müssen die Freiheitsrechte des Einzelnen zumindest für die Beschäftigten des Gesundheitssektors dahinter zurücktreten“, macht Van Aken deutlich. Weiterhin rufen beide die Bevölkerung auf, sich impfen zu lassen. „Die Gefahr, dass sich im Herbst, wenn wir uns alle wieder überwiegend in geschlossenen Räumen aufhalten, die Ansteckungen abermals vollkommen unkontrolliert ausbreiten, ist immens“, so Gehle.

Auch hinsichtlich der Situation in Schulen und Kindertagesstätten fordern die beiden Mediziner, neue Wege zu beschreiten. Gehle zeigte sich unzufrieden mit der bundesweiten „5–Tage-Regelung mit Freitestung“, wie sie die Ministerpräsidentenkonferenz in dieser Woche beschlossen hat, begrüßt hingegen die Entscheidung der NRW-Landesregierung, die in Zukunft bei den Quarantäneentscheidungen in Schulen und Kinderbetreuung den Fokus auf der Quarantänisierung nur einzelner infizierter Kindern legen will. Die Bundesregelung entspräche nicht der Empfehlung der Kinder- und Jugendmediziner und würde stattdessen die psycho-sozialen Folgen für Kinder, die unnötigerweise in Quarantäne geschickt würden, vergrößern. Beide Mediziner fordern, dass auch für die jüngeren Kinder in Kindertagesstätten neue Regelungen gefunden werden müssen. „Die Folgen für die weitere Entwicklung sind noch unübersehbar. Wir sollten sehr genau achten, dass wir die Rechte und Bedürfnisse der Kinder nicht geringschätzen“, so Van Aken und Gehle unisono.

Unterdessen rückt auch eine Corona-Impfung von Schwangeren in den Fokus: Unter den vergleichsweise jungen Intensivpatienten mit schweren Verläufen am UKM waren in den letzten Wochen unter anderem einige werdende Mütter. „Leider kann Covid-19 bei Schwangeren einen sehr schweren und sogar tödlichen Verlauf nehmen“, sagt Prof. Ralf Schmitz, einer der Leiter der UKM Geburtshilfe und Pränatalmedizin. „Studien zeigen: Die Gefahr, dass die Verläufe fulminant werden und infizierte Schwangere intensivmedizinisch betreut werden müssen, ist sechs Mal höher. Das Risiko einer Beatmung sogar 23 Mal größer, als bei Nicht-Schwangeren. Auch die Gefahr der Frühgeburtlichkeit steigt enorm.“

Studien belegen, dass mRNA-Impfstoffe hinsichtlich möglicher Nebenwirkungen bei Schwangeren keine Unterschiede im Vergleich zu Nicht-Schwangeren zeigen und auch nicht mit erhöhten Schwangerschaftskomplikationen verbunden sind.