Tanja Grammer ist die erste Professorin für Allgemeinmedizin an der Uni Münster
Münster (mfm/sw) – Für Professorin Tanja Grammer geht es „ab in den Norden“ – zumindest von ihrer letzten beruflichen Station aus betrachtet. Die gebürtige Oberösterreicherin aus Wels wurde zum Jahreswechsel an die Medizinische Fakultät der Universität Münster berufen und hat dort nun die erste Professur für Allgemeinmedizin inne. Damit verbunden ist die Leitung eines neu eingerichteten Instituts für das Fach. Was sie in Münster vorhat, worauf sie sich freut – und wie sie Studierende für einen Beruf als „Landärztin“ oder „Landarzt“ gewinnen und begeistern möchte, erzählt sie im Gespräch mit Stella Willmann.
Herzlich Willkommen an der Uni Münster – und in Westfalen. Worauf freuen Sie sich am meisten, sowohl was die Stadt als auch Ihre Tätigkeit an der Uni angeht?
Ich bin gerade erst berufen worden und muss leider aktuell noch pendeln, sodass ich von der Stadt noch nicht allzu viel sehen konnte. Aber das, was ich schon mitbekommen habe, gefällt mir sehr gut – ich denke, Münster ist eine sehr lebenswerte Stadt. Allerdings fällt mir die Orientierung noch nicht so leicht, weil hier alles so flach ist – da tut man sich schon mal schwer mit den Himmelsrichtungen. Was die Uni anbelangt, freue ich mich vor allem darüber, die Forschung in Allgemeinmedizin in Zusammenarbeit mit dem hausärztlichen Forschungspraxen-Netz am Standort aufzubauen, ein sehr kompetentes Team übernehmen zu können und an die bereits sehr gut vorhandene, moderne Lehrinfrastruktur anknüpfen zu können, wie das „Studienhospital Münster“ oder die LIMETTE.
Wo setzten Sie Ihre Forschungsschwerpunkte?
Mein Fokus liegt auf der epidemiologischen Forschung von Herz- Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. In meinen letzten Forschungsprojekten habe ich anhand von großen Studiendatenbanken untersucht, welche Biomarker – also welche charakteristischen biologischen Merkmale – mit bestimmten Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen verbunden sind. Anhand dessen habe ich zusammen mit einem interdisziplinären Team einen Risiko-Score entwickelt, der mittels der Biomarker vorhersagen soll, wie hoch das Risiko etwa von koronarer Herzkrankheit ist. Der nächste Schritt wären klinische Studien, damit die Verlässlichkeit des Scores weiter überprüft werden kann und um zu klären, ob der Score wirklich etwas für die Gesundheit der Patienten bringt und diese verbessern kann.
Wie können diese Schwerpunkte speziell in Münster vertieft werden?
Worauf ich mich hier besonders freue, ist eine eigens eingerichtete Forschungspraxis. Dabei handelt es sich um einen Ambulanzraum an der Uniklinik, in dem moderne diagnostische und therapeutische Verfahren unter Einbeziehung digitaler Geräte entwickelt werden – also letztlich neue Versorgungskonzepte, die in der Hausarztpraxis etabliert werden sollen. Mein Ziel ist, dass bewährte Prozesse unmittelbar bei den Kolleginnen und Kollegen in den Hausarztpraxen ankommen und dass diese das fertige Konzept direkt an die Hand bekommen, ohne mit der Entwicklung „behelligt“ zu werden.
Was ist für Sie das Besondere an der Allgemeinmedizin?
Die Allgemeinmedizin ist das wichtigste und größte Fach der Medizin und sichert die Grundversorgung der Bevölkerung – der Bedarf ist daher enorm, gerade auf dem Land. Ich möchte den Studierenden vermitteln, dass die Allgemeinmedizin ein tolles Fach ist: Das Gebiet ist vielfältig und bildet so gesehen die gesamte Palette der Medizin ab. Und: In keinem anderen Fach hat man so viel und so langen Kontakt mit den Patientinnen und Patienten. Als Hausärztin begleitet man seine Klientel häufig ein Leben lang, auf dem Land oft gesamte Familien – so fließt zusätzlich ein sozialer Aspekt in die Arbeit ein, der die Allgemeinmedizin zu einer Form ganzheitlicher Medizin macht. Das gibt einem als praktizierende Ärztin sehr viel!
Zum Thema Lehre: Was ist Ihnen besonders wichtig? Wie möchten Sie Studierende für die Allgemeinmedizin gewinnen?
Zunächst würde ich gerne allgemeinmedizinische Inhalte mehr ins Curriculum integrieren – und das von Beginn an. Außerdem möchte ich auf die hier schon vorhandenen Möglichkeiten zurückgreifen, die Lehre möglichst modern zu gestalten, etwa mit der LIMETTE, dem Studienhospital oder der Arbeit in Kleingruppen. Großen Wert lege ich ausserdem auf einen Praxisbezug: Ich möchte die Studierenden motivieren, auch auf dem Land in Hausarztpraxen hineinzuschnuppern und dort tätig zu werden, ärztliche Gesprächsführung zu üben, Untersuchungen durchzuführen und erste Therapieentscheidungen zu treffen.
Sie haben außerhalb von Deutschland – in Graz und Lyon – studiert. Was kann man sich von unseren Nachbarländern abgucken? Und worin kann Deutschland, speziell die Uni Münster, „bestechen“?
Gerade in Frankreich hat das Studium einen sehr hohen Praxisanteil – die Studierenden sind vormittags in Praxen oder der Klinik und so direkt am Patienten. Das hat mir schon damals sehr gut gefallen und könnte auch bei uns verbessert werden. Allerdings: Hier in Münster sind wir in dieser Hinsicht alles andere als schlecht aufgestellt – mit LIMETTE, Studienhospital & Co. ist der Praxisbezug für Studierende ebenso gewährleistet.