„Zurück ins Leben“: Tag der Intensivmedizin
Ein Netz aus Zuwendung: Angehörige haben in der Gesundung von Intensivpatienten tragende Rolle
Alljährlich machen der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) mit dem „Tag der Intensivmedizin“ auf die besondere Bedeutung ihrer Disziplin aufmerksam. Unter dem Motto „Zurück ins Leben“ berichten Intensivmediziner von Patienten, deren Leben auf der Kippe stand. Naturgemäß ist die Erinnerung solcher Patienten an die Zeit auf der Station lückenhaft. Dagegen erleben die Angehörigen eine intensive Zeit zwischen Hoffen und Bangen.
Münster (ukm/aw) – Als Detlef Erning am 1. Februar 2020 einen schweren Herzinfarkt erlitt, gab es eigentlich keine Vorzeichen, die ihn hätten warnen können. Zwar sei ihr Mann nicht im eigentlichen Sinne sportlich gewesen, so berichtet seine Frau Doris, allerdings habe er nie Herz-Kreislauf-Probleme gehabt. Der Herzanfall traf Erning nachts und schnell wurde klar, dass der Ahauser wegen der Schwere des Infarkts ins UKM (Universitätsklinikum Münster) muss. „Ich kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie ich dorthin gekommen bin“, sagt der Kriminalbeamte heute. Ein ganz typisches Begleitsymptom, weiß Prof. Christian Ertmer, der den Patienten in den folgenden Wochen zusammen mit dem Team der Intensivstation betreute. „Die Patienten können im Nachhinein oft nur wenig erinnern. Das liegt zum einen an der psychisch belastenden Grenzsituation zwischen Leben und Tod. Zum anderen wird durch die schwere Erkrankung auch die Funktion des Gehirns beeinträchtigt. Und innerhalb der Behandlung gibt es immer wieder Phasen, in denen die Patienten sediert werden müssen. Die Wahrnehmung ist dann regelrecht verzerrt, was uns in den Erzählungen der Patienten im Nachhinein immer wieder begegnet.“
Ernings Situation verschlechterte sich nach der Einlieferung dramatisch: Er musste sofort operiert werden und bekam vier Bypässe. Eine zunehmende Herzschwäche machte es schließlich nötig, dass der 56-Jährige noch während der OP an die ECMO (Extracorporale Membranoxygenierung) angeschlossen werden musste – sein Leben hing fortan an einer Maschine. „Die Behandlung dieser Patienten ist besonders kritisch“, so Ertmer, „Wir müssen in so einem Fall den Angehörigen sagen, dass die Chancen auf Überleben leider schlechter geworden sind.“
Sieben Wochen liegt Erning auf der Intensivstation. Doris Erning ist im engen Austausch mit dem Team und versucht, ihrem Mann, der all das nicht mitbekommt, Mut zuzusprechen. Zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Sohn besucht sie Detlef Erning jeden Tag. Als dann wegen Corona Besuchereinschränkungen hinzukommen, behilft man sich mit Videoanrufen und Telefon. „Wir haben versucht, ein Netz zu spinnen, was meinen Mann möglichst rund um die Uhr auffängt“, so Doris Erning.
Dann der entscheidende Schritt „zurück ins Leben“: Ende Februar stabilisiert sich Ernings Herz und schlägt selbständig und kräftig genug – die ECMO kann entfernt werden. „Das ist der erste sehr positive Moment, an den ich mich wieder erinnere“, sagt der Patient rückblickend.
Nach einer längeren Wiedereingliederungsphase konnte Detlef Erning an seinen Arbeitsplatz zurückkehren und wirkt heute gesund – äußerlich sieht man ihm die Strapazen des vergangenen Jahres nicht an. „Ich kämpfe aber phasenweise schon mit dem Erlebten und habe es noch nicht ganz verarbeitet“, räumt er ein. Seinen familiären Rückhalt habe er die ganze Zeit über als sehr unterstützend empfunden. „Frau Erning ist uns hier schon durch sehr besonderes Engagement aufgefallen“, freut sich Prof. Christian Ertmer. „Sie hat Fragen gestellt und war dabei gefasst und interessiert. Wir erleben jeden Tag, dass die Unterstützung der Angehörigen eine immense Bedeutung für die Gesundung der Patienten hat. Wenn das Überleben auf der Kippe steht, ist es wichtig, dass man ein Leben hat, in das man zurückkehren möchte.“