Schlaganfall verstehen – Wissen für Patienten & Angehörige

Schlaganfall verstehen – Wissen für Patienten & Angehörige

Bild: Teamarbeit bei der Behandlung von Schlaganfall-Betroffenen: APN Jan Röttgers und Oberärztin Priv.-Doz. Dr. Antje Schmidt-Pogoda von der UKM-Stroke Unit. (Foto UKM)

Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen in Deutschland die Liste der Todesursachen an und sind insgesamt für jeden dritten Todesfall verantwortlich. Neben dem Herzinfarkt spielt dabei der Schlaganfall die größte Rolle. „Wichtig ist es, schnell zu reagieren, wenn erste Symptome auftreten. Die Regel ‚time is brain‘ gilt immer“, mahnt Privat-Dozentin Dr. Antje Schmidt-Pogoda, Oberärztin der UKM-Stroke Unit, einer zertifizierten überregionalen Schlaganfallstation. Aus Anlass des Welt-Schlaganfalltags am Dienstag, 29. Oktober, ist Schmidt-Pogoda zusammen mit ihrem pflegerischen Kollegen Jan Röttgers zu Gast im UKM-OnlineTalk, ab 18.00 Uhr, auf dem UKM-YouTube-Kanal. Im Livestream klärt das Team auch über Therapien, persönliche Risiken und Lebensstiloptimierung auf.

Münster (ukm/aw) – Die gute Nachricht vorweg: Nicht jede Schlaganfallpatientin oder jeder -patient ist gleich schwer betroffen. „Wir sehen auch Menschen, die schon 72 Stunden nach dem Ereignis symptomfrei nach Hause gehen“, sagt Oberärztin Priv.-Doz. Dr. Antje Schmidt-Pogoda aus der Klinik für Neurologie am UKM (Universitätsklinikum Münster). „In diesen Fällen ist oft vieles gut gelaufen, die Betroffenen haben sich frühzeitig medizinische Hilfe gesucht und es wurden nicht zu viele Nervenzellen im Gehirn geschädigt“. Allen Fällen gemein sei, dass der Faktor Zeit eine große Rolle dabei spielt, wie gut jemand am Ende aus dem Ereignis herausgeht. Der FAST-Test (Face-Arms-Speech-Time, engl. für Gesicht-Arme-Sprache-Zeit) eigne sich dabei einerseits zur Schlaganfall-Selbstdiagnose, könne aber auch im aufmerksamen sozialen oder familiären Umfeld einfach angewendet werden. „Gibt es Verdachts-Symptome wie einen plötzlich herunterhängenden Mundwinkel, eine einseitige Armschwäche, oder Schwierigkeiten zu sprechen, gilt es ausnahmslos und sofort, den Rettungsdienst zu alarmieren.“

Wie wichtig die Familie im Akutfall sein kann, weiß auch Gesundheits- und Krankenpfleger Jan Röttgers. Als Advanced Practice Nurse (APN) auf der UKM-Stroke Unit ist er das Bindeglied zwischen den medizinisch Verantwortlichen der unterschiedlichen Disziplinen einerseits und den Angehörigen auf der anderen Seite. „Ich versuche im Gespräch mit der Familie, die individuellen Bedarfe des Betroffenen zu ermitteln. Die Angehörigen müssen in schweren Fällen das Sprachrohr der Patientinnen und Patienten sein und ich unterstütze beide Seiten. Gleichzeitig sehe ich schon kleinste medizinisch relevante Veränderungen bei den Betroffenen und kann darauf reagieren und unser Team informieren“, so Röttgers.

Die Versorgung von Schlaganfällen auf einer speziell zertifizierten Stroke Unit wie der des UKM ist therapeutischer Goldstandard. Für das individuell beste medizinische Outcome arbeiten hier ärztliche und pflegerische Teammitglieder Hand in Hand mit den therapeutischen Berufen wie Ergo- und Physiotherapie oder Logopädie. Auch der Sozialdienst, der sich begleitend um die Anschlussheilbehandlung oder Rehabilitationsmaßnahmen kümmert, ist in jeden Fall von Anfang an involviert.

Neben den über die Notaufnahme eingewiesenen Patientinnen und Patienten übernimmt das UKM als universitäres Zentrum auch Fälle aus den umliegenden Kliniken, die eine besondere Komplexität aufweisen. Als koordinierendes Zentrum des Neurovaskulären Netzwerks Westfalen+ führt das UKM eine überregionale Versorgungsstruktur mit elf weiteren Kliniken als Kooperationspartnern an. „Gemeinsam arbeiten wir im Netzwerk daran, dass alle Patienten mit Schlaganfällen optimal den besten therapeutischen Möglichkeiten zugeführt werden“, sagt die Sprecherin des Netzes, Antje Schmidt-Pogoda.

Der UKM-OnlineTalk am Dienstag, 29. Oktober, richtet sich an Schlaganfall-Betroffene und deren Familien. Er erklärt auf einfache und verständliche Weise die Diagnose Schlaganfall, mögliche Therapien und weitere Maßnahmen, die nach der Akutbehandlung ergriffen werden müssen. Nicht zuletzt will der Experten-Talk auch über Möglichkeiten der Prävention aufklären. Interessierte können sich ab 18.00 Uhr über den YouTube-Kanal des UKM zuschalten und dort auch live Fragen einreichen. Das geht auch im Vorfeld per Mail an ukm-onlinetalk@ukmuenster.de.
Schlaganfall: Aussicht auf neue Therapieoption

Schlaganfall: Aussicht auf neue Therapieoption

Bild: Prof. Robert Nitsch von der Universität Münster fungierte bei der neuen Schlaganfall-Studie als Seniorautor (Foto: Wattendorff)

Forschungsteam entschlüsselt unbekannte Mechanismen im Gehirn

Mainz/Münster (umm/vw) – Eine Gruppe von Forschenden der Universitätsmedizin Mainz, der Universität zu Köln und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat einen völlig neuen Ansatz zur Behandlung des Schlaganfalls entdeckt: Das Team konnte nachweisen, dass ein spezifischer Signalweg der Lysophosphatsäure (LPA) – das ist ein bioaktives Lipid im Gehirn – die Erregbarkeit von Nervenzellen nach einem Schlaganfall reguliert und so die Schwere der Beeinträchtigung bei den Betroffenen beeinflusst. Gesteuert wird dieser LPA-Signalweg durch das Enzym Autotaxin (ATX). Im Tiermodell zeigte sich, dass durch eine Hemmung von ATX auch noch Stunden nach dem Schlaganfall die Erregbarkeit von Netzwerken im Gehirn reduziert werden konnte. Dies führte dazu, dass die Folgen des Schlaganfalls weniger gravierend waren. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.

Bei einem durch einen Gefäßverschluss ausgelösten (ischämischen) Schlaganfall kommt es zu einer unzureichenden Blutversorgung und damit Sauerstoff- und Nährstoffmangel des Gehirns. In der Folge werden große Mengen von Botenstoffen, sogenannte Neurotransmitter, im Gehirn freigesetzt. Insbesondere die übermäßige Ausschüttung des Neurotransmitters Glutamat verursacht eine Reizüberflutung der Hirnzellen. Diese kann zu einer Funktionsstörung von Nervenzellen und zu ihrem Absterben führen. Als weitere Konsequenz geht Hirngewebe dauerhaft verloren, was wiederum bleibende Behinderungen verursachen kann.

Gegenwärtig zielen Schlaganfallbehandlungen darauf ab, funktionell beeinträchtigtes, aber noch lebensfähiges Gewebe zu retten. Dies geschieht, indem die Durchblutungsstörung so früh wie möglich medikamentös oder durch eine Katheterbehandlung behoben wird. Therapeutische Ansätze, die in die Signalübertragung des Gehirns eingreifen, um nach einem Schlaganfall das Hirngewebe soweit möglich am Leben zu erhalten, sind bislang nicht möglich.

Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Prof. Johannes Vogt (Köln), Prof. Frauke Zipp (Mainz) und Prof. Robert Nitsch (Münster) hat jetzt gezeigt, dass die Steuerung der Erregbarkeit von Nervenzellen durch die Lysophosphatsäure eine wesentliche Bedeutung für den Verlauf des Schlaganfalls hat: Erhöhte synaptische Lipidsignale verstärken die durch Glutamat ausgelöste Reizüberflutung. Hierbei spielt das Molekül Autotaxin eine zentrale Rolle. Die Forschenden konnten im Tiermodell nach einem experimentellen Schlaganfall einen langanhaltenden Anstieg der ATX-Konzentrationen und der die Erregung stimulierenden LPA im Gehirn nachweisen. Prof. Vogt erklärt: „Wir haben über Genmutation und pharmakologische Hemmung von ATX auch noch Stunden nach einem experimentellen Schlaganfall zeigen können, dass sich die über LPA gesteuerte Erregbarkeit des Gewebes hemmen lässt und sich so der Verlauf des Schlaganfalls deutlich verbessert.“ Die Mainzer Neurologin Prof. Zipp verbindet mit den Befunden eine wichtige klinische Perspektive: „Da bei den Betroffenen sowohl die ATX- als auch die LPA-Konzentration im Liquor, also in der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit, erhöht ist, ergeben sich neue Therapiemöglichkeiten, die auch noch nach dem eigentlichen Schlaganfall greifen könnten.“ Prof. Nitsch sieht einen bedeutsamen translationalen Schritt für eine neue Medikamentenentwicklung: „Tatsächlich zeigen die Daten, dass Patienten mit einem gestörten synaptischen LPA-Signalweg von einem Schlaganfall stärker betroffen sind. Das ist ein starker Hinweis auf einen möglichen Therapieerfolg durch ATX-Hemmer, die wir derzeit gemeinsam mit dem Hans-Knöll-Institut in Jena entwickeln.“

Die neuen Erkenntnisse zur Übererregbarkeit neuronaler Netzwerke und einer neuen Möglichkeit ihrer therapeutischen Korrektur könnten zukünftig nicht nur für den Schlaganfall relevant sein, sondern auch für andere neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Der Schlaganfall ist weltweit die häufigste Ursache für Behinderungen und die zweithäufigste Todesursache. In Deutschland erleiden jährlich rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall. In etwa 80 Prozent handelt es sich um eine Ischämie, bei der es zur Verstopfung einer Arterie im Gehirn kommt, die eine Durchblutungsstörung verursacht. Hingegen tritt bei den hämorrhagischen Schlaganfällen, die den Rest der Fälle ausmachen, durch einen Einriss in einer Gefäßwand eine Hirnblutung auf.. [Link zur Studie]