Nach Nierenlebendspende: Der 9. Geburtstag kurz vor dem Ruhestand
Bernd Kampmann konnte gerade erst seinen neunten Geburtstag feiern. Denn für den laut Ausweis 65-Jährigen begann am 27. Mai 2015 eine neue Zeitrechnung, als seine Ehefrau Maren entschied, ihm durch eine sogenannte Lebendspende eine ihrer Nieren zu schenken. „Jedes Jahr feiern wir diesen zweiten Geburtstag“, verraten die Kampmanns. Damit in Zukunft mehr Menschen von der Möglichkeit einer Nierenlebendspende profitieren können, will der Gesetzgeber im kommenden Jahr vorhandene Hürden abbauen. Ein wichtiger Schritt, findet Prof. Stefan Reuter, leitender Oberarzt der Transplantationsnephrologie am UKM (Universitätsklinikum Münster).
Münster (ukm/aw) – Auf den Transplantationswartelisten warten derzeit deutschlandweit mehr als 8.400 Menschen darauf, ein für sie lebensrettendes Organ zu erhalten. Allein für eine Niere waren im Jahr 2022 laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) 6.683 Menschen gelistet. „Leider ist es aber so, dass rund 18 Prozent der Patientinnen und Patienten versterben, noch während sie auf der Warteliste stehen“, so Reuter. Die geplante Änderung des Transplantationsgesetzes im Sinne einer Neuregelung der Nierenlebendspende (siehe Infokasten) solle ab dem kommenden Jahr den Mangel an Organen abmildern, erklärt er.
Medizinisch gesehen bietet die Nierenlebendspende gegenüber der Transplantation eines postmortalen Spenderorgans viele Vorteile. „Die Organe aus Lebendspenden sind meist in besserem Zustand. Und weil Spender und Empfänger meist in derselben Klinik operiert werden, fallen auch Transportzeiten weg: Das Spende-Organ bleibt vitaler“, so Nierenexperte Reuter. Und er fügt hinzu: „Bis zu einem Drittel der transplantierten Nieren in Deutschland stammen aus einer Nierenlebendspende. Spender und Empfänger werden im Vorfeld eingehend untersucht, um für beide Seiten Risiken zu minimieren. Das langfristige Überleben der Transplantierten ist aber in fast allen Fällen besser als im Vergleich zur postmortalen Spende.“
Dafür ist Bernd Kampmann ein gutes Beispiel. Trotz einiger zwischenzeitlich eingetretener Komplikationen, wie zum Beispiel einer schweren Gürtelrose aufgrund der immunsuppressiven Medikamente, die er täglich nehmen muss, hat er viel Lebensqualität gewonnen. „Die Einschränkung, dass ich alle 28 Tage zur Kontrolle in die nephrologische Ambulanz des UKM kommen muss, ist nicht zu vergleichen mit den Belastungen einer andauernden Dialyse“, stellt er klar. Vor dieser Situation stand er vor der Transplantation. Damals hatte sich seine Gesundheit aufgrund von Zysten-Nieren so akut verschlechtert, dass er drei Monate lang alle drei Tage zur Dialyse musste. „Eine Strapaze für uns beide“, erinnert sich Maren Kampmann. Dann kam ihre Entscheidung zur Nierenlebendspende. Ein Geschenk und ein „Ja!“ zum Leben. Bernd Kampmann hat in seiner Frau Maren „privat wie genetisch ein kompatibles Cross-Match“ gefunden, sagt er rückblickend. Im August wird der Jurist pensioniert. An Plänen für die Zukunft mangelt es nicht.
Das Bundesgesundheitsministerium will die sogenannte Überkreuz-Nierenlebendspende ab 2025 erleichtern. Überkreuz-Spenden sind dann notwendig, wenn ein Paar nicht immunologisch miteinander kompatibel und die Gefahr einer Abstoßung des Organs gegeben ist. In solchen Fällen, in denen Nieren-Spender und -Empfänger nicht „matchen“, besteht auch jetzt schon die Möglichkeit, mit einem immunologisch „passenden“ Paar überkreuz zu spenden. Das allerdings bisher nur, wenn ein persönliches Näheverhältnis besteht. Der aktuelle Referentenentwurf des Transplantationsgesetzes plant nun eine Anonymität in der Überkreuzspende einzuführen, d.h. Spender und Empfänger sollen sich nicht kennen. Die anonyme Überkreuzspende soll etwaigem Organhandel vorbeugen. Auch das sogenannte Subsidaritätsprinzip, also der Umstand, dass eine Nierenlebendspende nur dann in Betracht kommt, wenn kein passendes postmortal gespendetes Organ zur Verfügung steht, soll nach den Plänen der Bundesregierung wegfallen. Empfänger könnten sich dann also frei zwischen einem postmortalen Organangebot und, wenn ein Lebendnierenspender zur Verfügung steht, einer Lebendspende entscheiden. Darüber hinaus sieht der Entwurf auch die Möglichkeit altruistischer Nierenspenden vor. So könnten Menschen aus selbstlosen Motiven eine Niere spenden, ohne dass sie wissen, an wen sie geht.