Grippe-Impfung: Warum sie sich auch jetzt noch lohnt

Grippe-Impfung: Warum sie sich auch jetzt noch lohnt

„Der Grippe-Impfstoff passt in diesem Jahr besonders gut auf die zirkulierenden Stämme“

Münster (ukm/maz) – Während die COVID-19-Impfstoffe und die durchgemachten Infektionen dafür sorgen, dass Experten bei der Corona-Pandemie den Übergang zu einer endemischen Lage erreicht sehen, sind die Zahlen an RS-Virus- und Influenza-Erkrankten nach wie vor ungewöhnlich hoch. Dabei zeigt der diesjährige Grippe-Impfstoff eine sehr gute Wirksamkeit – doch von der angestrebten Impfquote, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei älteren Menschen mit 75 Prozent angegeben wird, ist Deutschland weit entfernt. Wieso sich eine Impfung auch jetzt noch lohnt und wer davon profitiert, erklärt Prof. Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Virologie am UKM (Universitätsklinikum Münster).

Video: Grippewelle-Update: Warum sich eine Grippeimpfung auch jetzt noch lohnt


Herr Prof. Ludwig, die Grippe-Welle begann in diesem Herbst nicht nur ungewöhnlich früh, sondern auch mit vielen ausgeprägten Verläufen. Wo stehen wir jetzt zum Ende des Jahres?

„Wir sind aktuell immer noch in einer Phase, in der die Zahlen ansteigen, auch wenn es in der letzten Woche eine kleine Abflachung gab. Dies würde ich aber eher auf geringere Testungen rund um die Feiertage zurückführen. Wir müssen damit rechnen, dass die Zahlen im Januar noch weiter ansteigen.“

Eine Grippe-Impfung wird eigentlich im Herbst empfohlen. Wenn die ohnehin schon hohen Zahlen nach der Prognose jedoch noch weiter ansteigen, lohnt sich dann in diesem Winter eine Impfung auch zum jetzigen Zeitpunkt noch?
„Die lohnt sich auf jeden Fall noch und das aus zwei Gründen. Zum einen sehen wir normalerweise die Grippe-Peaks, also die höchsten Zahlen, Ende Januar und Anfang Februar, das steht uns also noch bevor und da der Impfstoff nach zwei Wochen seine volle Wirkung entfaltet, hat man dafür mit einer jetzigen Impfung eine gute Schutzwirkung. Und der zweite Grund, wieso man sich jetzt noch impfen lassen sollte, ist, dass der Impfstoff in diesem Jahr besonders gut auf die zirkulierenden Stämme passt und damit einen sehr, sehr guten Impfschutz bietet.“

Der Hinweis auf die besonders gute Wirksamkeit – die zugegebenermaßen ja nicht jedes Jahr gelingt – könnte die Impfbereitschaft diesen Winter möglicherweise noch erhöhen. Wer sollte sich in jedem Fall impfen lassen?
„Die Impfung empfiehlt sich immer für die gefährdeten Gruppen, also für die ältere Bevölkerung, aber natürlich auch für Menschen mit Vorerkrankungen und einem geschwächten Immunsystem. Aber wer nicht unbedingt eine schwere Grippe durchmachen will, da empfiehlt es sich im Grunde für jeden und wir haben ja bei der Corona-Pandemie gesehen, dass ein breiter Immunschutz in der Bevölkerung sehr wichtig ist, um eine Erkrankung zurückzudrängen und das würden wir uns bei der Grippe auch wünschen.“

Gilt diese Empfehlung auch für Kinder?
„Bei Kindern würde ich es zunächst auf die beschränken, die chronische Vorerkrankungen haben oder die generell häufig krank werden. Es ist schon so, dass Kinder, insbesondere auch kleine Kinder, sehr schwer an Grippe erkranken können und deshalb sollte ich als Eltern, wenn ich ein Kind habe, was sehr häufig krank wird, schon über eine Impfung nachdenken.“

Jetzt ist die Influenza nicht die einzige Atemwegserkrankung, die derzeit zirkuliert. Welche Rolle spielen das RS-Virus und die aktuellen Corona-Zahlen?
„Bei COVID-19 sind die Zahlen sehr ermutigend. Wir haben jetzt im Winter keine massive Zunahme an Erkrankungen gesehen. Das heißt, man kann so langsam davon ausgehen, dass wir in eine endemische Lage kommen. Bei anderen Atemwegserkrankungen ist das leider ganz und gar nicht so. Derzeit dominieren die Influenza und das RS-Virus, letzteres vor allem bei Kindern, und wir haben im Moment, was die schweren Atemwegserkrankungen angeht, den höchsten Peak seit vielen Jahren. Dabei ist nicht zu vergessen: Wir stehen noch mitten im Winter, da kommen also noch ein paar kalte Monate und da kann uns noch einiges erwischen. Deshalb kann man insgesamt, was die Atemwegserkrankungen angeht, aktuell noch keine Entwarnung geben.“

Neue Corona-Variante BQ.1.1 auf dem Vormarsch

Neue Corona-Variante BQ.1.1 auf dem Vormarsch

Bild: Prof. Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Virologie am UKM.

Corona-Variante BQ.1.1: „Mit dem Schutz des aktuell vorhandenen Impfstoffs sollten wir gut durch den Winter kommen“

Münster (ukm/maz) – Nach Frankreich und den Niederlanden breitet sich auch hierzulande die neue Corona-Variante BQ.1.1 aus. Zwar macht sie derzeit laut Robert Koch-Institut (RKI) erst circa 5 Prozent der Infektionen in Deutschland aus, nach Prognosen von Experten wird sie aber in vier bis sechs Wochen vorherrschend sein. Im Interview spricht Prof. Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Virologie am UKM (Universitätsklinikum Münster), über die Ausbreitung und Gefahren von BQ.1.1, den Einfluss der Impfung, welcher Impfstoff der richtige ist sowie über weitere neu zirkulierende Varianten.

Herr Prof. Ludwig, lassen Sie uns einmal sortieren: Nach Alpha und Delta zu Beginn der Pandemie ist seit dem Frühjahr Omikron und davon mittlerweile die BA.5-Variante in Deutschland dominierend. Welche Virusvarianten sind jetzt neu im Umlauf?
„Im Moment ist hier in Europa die sogenannte BQ.1- und die davon abgeleitete BQ.1.1-Variante auf dem Vormarsch. Das gilt auch für uns in Deutschland. Das RKI hat in dieser Woche gemeldet, dass wir jetzt bei etwa 5,5 Prozent sind. In der Woche davor waren es noch ungefähr 3 Prozent. In den Niederlanden und Frankreich sind es bereits 10 Prozent aller Isolate.“

Kann aus den Daten der Nachbarländer abgeleitet werden, wie gefährlich diese neue Variante ist?
„Zur Krankheitsschwere kann man im Moment noch wenig sagen, da gibt es nicht genügend Daten. Es sieht im Moment aber nicht danach aus, als würde die BQ.1- und die BQ.1.1-Variante aggressiver sein, also schwerere Erkrankungen hervorrufen, im Vergleich zur BA.5-Variante. Da scheinen wir Glück zu haben.“

Was ist Ihre Prognose für die nächsten Monate?
„Ganz genau kann man das nicht vorhersagen, weil das zum einen vom Immunschutz in der Bevölkerung abhängt, der entweder durch Impfung oder Genesung erreicht ist, und zum anderen, wie gut die neuen Varianten in der Lage sind, diesem Immunschutz zu entgehen. Zwar ist letzteres wohl bei BQ.1 und BQ.1.1 relativ stark, also dieser Immun-Escape-Effekt, aber bislang ist das noch kein Hinweis darauf, dass das mit stärkeren Verläufen zu tun hat. Solange es so bleibt, dass wir keine Zunahme in der Krankheitsschwere sehen, sollten wir damit zurechtkommen.“

Welchen Einfluss hat eine Impfung – und vor allem: Mit welchem Impfstoff sollte geimpft werden?
„Die jetzt festgestellten neuen Varianten sind Abkömmlinge der BA.5-Variante. Deshalb macht es Sinn, den auf die BA.4- und BA.5-Varianten angepassten Impfstoff – und den haben wir ja ausreichend zur Verfügung – zu nutzen. Dieser sollte relativ gut gegen die Infektion mit BQ.1- und BQ.1.1. schützen und wir sollten damit auch, soweit derzeit absehbar, gut über den Winter kommen.“

Wer sollte sich jetzt impfen lassen und welchen Einfluss haben zurückliegende Infektionen mit anderen Omikron-Varianten?
„Es gibt ja Vorgaben von der StiKo, die sehr vernünftig sind, nach denen man sich sechs Monate nach der Auseinandersetzung mit dem Impfstoff oder Virus erneut impfen lassen sollte. Bei besonders vulnerablen Personen kann man bereits nach vier Monaten an eine Auffrischungsimpfung denken, das muss dann aber immer entsprechend im Einzelfall entschieden werden.“

Wir haben jetzt ausschließlich über die Varianten BQ.1 und BQ.1.1 gesprochen. Gibt es noch weitere Mutationen, die zeitnah in Deutschland relevant werden könnten?
„Es gibt noch zwei Varianten, die für uns noch interessant sind. Es gibt einmal eine BF.7-Variante, die auch hier in Deutschland schon zirkuliert. Wobei es grenzwertig ist, ob das tatsächlich schon eine neue Variante ist oder nicht doch eher ein leicht veränderter BA.5-Stamm. Eine andere Variante – auch abgeleitet von Omikron – zirkuliert derzeit in Asien und stammt aus Indien. Diese X.B.B genannte Variante verbreitet sich aktuell in Singapur sehr viel schneller als die Varianten davor. Aber aggressiver scheint sie bisher nicht zu sein.“

Video: Prof. Stephan Ludwig zu den neuen Varianten des Corona-Virus.
Affenpocken – Potenzial für eine neue Epidemie? ­

Affenpocken – Potenzial für eine neue Epidemie? ­

Bild: Prof. Stephan Ludwig, Leiter des Instituts für Virologie am UKM und Koordinator der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen.

Münster (ukm/aw) – Affenpocken-Infektionen breiten sich seit Anfang Mai weltweit aus. Experten rechnen bisher aber nicht mit einer neuen Pandemie. Erstmals entdeckt wurde das Virus 1958, ein Überspringen der Zoonose auf den Menschen wurde erstmals 1970 dokumentiert. Prof. Stephan Ludwig ist Leiter des Instituts für Virologie der WWU und des UKM (Universitätsklinikum Münster) und koordiniert an seinem Institut die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen – kennt sich also bestens aus mit Erregern, die eigentlich im Tier entstanden sind.

Herr Prof. Ludwig, was genau ist eine Zoonose?
Eine Zoonose ist eine Infektionskrankheit, bei der ein Erreger von Tieren auf den Menschen überspringt oder umgekehrt. Eigentlich ist das ein Unfall in der Evolution der Viren, dass man plötzlich eine neue Wirtsspezies angreift. Das führt dann aber leider auch dazu, dass es in der Regel keinen guten Infektionsschutz gibt, weil der Mensch mit dem Erreger noch nicht in Kontakt gekommen ist oder dagegen geimpft ist.

Haben Virologen eine Idee dazu, warum jetzt weltweit so viele Fälle neu auftreten?
Nein. Es gibt viele Vermutungen, die aber noch nicht wissenschaftlich geprüft sind. Eine Vermutung ist die Adaptation des Virus. Viren verändern sich, auch wenn ein Pockenvirus genetisch stabiler ist als beispielsweise ein Corona- oder ein Grippevirus. Es könnte zu einer Veränderung im Affenpockenvirus gekommen sein, die Menschen plötzlich empfänglicher werden lässt für diese Viren. Deswegen ist es wichtig, dass wir Infizierte insbesondere auch von Tieren isolieren, damit der Mensch das Virus nicht an eine andere Tierart zurückgibt. Das wäre in der Tat eine Übertragung, die sich als gefährlich erweisen könnte.

Wie ist denn der Übertragungsweg?
Also die ursprüngliche Übertragung des Virus von Tier auf Mensch kommt vermutlich durch engen Kontakt mit Tieren oder eventuell durch Tierbisse. Im Moment findet man die Übertragung von Mensch zu Mensch. Man weiß, dass es über Körperflüssigkeiten passiert, über engen Kontakt von Personen. Es handelt sich, soweit bisher bekannt, nicht um einen aerosolisch übertragbaren Erreger. Tröpfcheninfektionen sind selten und passieren dann, wenn sich im Mund Pusteln bilden und damit die Viren dann im Sputum (Speichel) sind. Wichtig finde ich zu sagen, dass es absolut nicht angebracht ist, die Übertragbarkeit des Virus nur auf Männer zu reduzieren, die Sexualverkehr mit anderen Männern haben. So wie bei den ersten AIDS-Infektionen in den Achtzigern kann es jeden und jede treffen.

Woran merke ich, dass ich infiziert bin?
Die Infektion äußert sich durch klassische Erkältungssymptome wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Das Spezifische ist aber das Auftreten von Läsionen auf der Haut, also Pusteln. Da sollten wir jetzt vor allem unsere Mediziner sensibilisieren, dass sie solche Befunde in Zusammenhang bringen und Patient*innen dann auf die Infektion testen lassen. In der Regel sind die Infektionsverläufe milde. Es gibt aber auch schwerere Verläufe vor allem bei immunsupprimierten Personen. Eine schwere Komplikation, die durchaus zum Tod führen kann, kann auch eine bakterielle Co-Infektion oder sogar eine bakterielle Sepsis sein, die sich entwickelt, wenn sich die Pusteln öffnen und infizieren.

Müssen Patient*innen isoliert werden?
Ja, solange sie Symptome haben, sind sie auch ansteckend, also zwischen zwei bis vier Wochen im Normalfall. Es ist allerdings anders als bei Corona, weil das Virus nicht über Aerosole in der Luft übertragbar ist. Aber direkter Kontakt mit den Pusteln und Körperflüssigkeiten von Infizierten muss vermieden werden.

Gibt es Medikamente gegen die Affenpocken?
Es gibt in der Tat ein Therapeutikum – eigentlich ist das gegen die klassischen Pocken entwickelt worden. Das ist in Europa zugelassen und könnte bei Infektionsfällen off-Label genutzt werden als individueller Heilversuch. Da müssen wir aber erst sehen, wie das in der Klinik wirklich anschlägt.

Menschen über 50 haben ja oftmals noch eine Pocken-Impfung bekommen. Schützt die?
Das scheint so zu sein. Dazu gibt es Zahlen, die belegen, dass die Schutzwirkung bei der älteren Bevölkerung bis zu 85 Prozent sein könnte. Ähnlich wie beim Corona-Virus heißt das nicht, dass Ältere sich nicht mit dem Virus anstecken können. Allerdings wären schwere Verläufe eher unwahrscheinlich. In der EU ist ein Impfstoff gegen Pocken zugelassen – auch hier könnte man, ähnlich wie bei den Medikamenten, eine off-Label-Verwendung gegen Affenpocken versuchen. In Großbritannien ist man aktuell den Schritt gegangen, die Impfung für gewisse Risikozielgruppen vorsorglich anzubieten.

Würden Sie aus virologische Sicht eine Impfung empfehlen?
Es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Diese neue Ausbreitung über vier Kontinente gleichzeitig ist ungewöhnlich und die müssen wir beobachten. Noch sind die Zahlen gering, aber sie werden sicher ansteigen. Wir müssen das beobachten und sollte das Ganze aber an Fahrt aufnehmen, dann müsste man über eine Impfempfehlung vulnerabler Gruppen nachdenken.

Video: Prof. Stephan Ludwig zum Risiko einer Infektion durch Affenpocken, Schutzmaßnahmen, Impfung und Forschungsstand (Langversion).