Organspende: Bekannter Wille fördert Zustimmung von Angehörigen erheblich

Organspende: Bekannter Wille fördert Zustimmung von Angehörigen erheblich

Bild: Laut Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Jahr 2020 würden 71 Prozent der Befragten, die bereits eine Entscheidung getroffen haben, einer Organspende zustimmen.

Die deutschen Organspenderzahlen sind im internationalen Vergleich gering. Der Frage, welchen Einfluss ein Entschluss zu Lebzeiten auf die Entscheidung für eine Organspende hat, gingen die Transplantationsbeauftragen der sieben NRW-Universitätskliniken Münster, Düsseldorf, Essen, Aachen, Köln, Bielefeld und Bonn nach. Bei einer schriftlichen Willensbekundung lag die Zustimmungsrate mit 70 Prozent deutlich höher, als wenn Angehörige allein nach eigener Wertvorstellung entscheiden mussten. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht.

Münster/NRW (ukm) – Laut Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Jahr 2020 würden 71 Prozent der Befragten, die bereits eine Entscheidung getroffen haben, einer Organspende zustimmen. „Eine derart hohe Zustimmungsrate fanden wir bei den von uns analysierten Patienten nur dann, wenn sie sich schriftlich zum Thema Organspende, zum Beispiel mittels eines Organspendeausweises, geäußert hatten“, berichtet Prof. Dr. Martin Söhle, Transplantationsbeauftragter am Universitätsklinikum Bonn (UKB). „Insgesamt war die Zustimmungsrate zu einer Organspende an den NRW-Uniklinika mit 38 Prozent nur etwa halb so hoch wie in den Umfragen berichtet.“

Um der Ursache dafür auf den Grund zu gehen, wurden in der Studie 289 Todesfälle mit Hirnschädigung genauer angeschaut, die zwischen dem 1. Juni 2020 und 30. Juni 2021 in den Universitätskliniken Aachen, Bielefeld, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster identifiziert wurden. Dabei interessierten sich die sieben Transplantationsbeauftragten für die Zustimmungsrate zur Organspende und den Einfluss der Entscheidungsgrundlage darauf. Dazu erfragten sie Willensbekundungen der potentiellen Organspender bei Angehörigen, Betreuenden und Hausärzten und sichteten alle verfügbaren Dokumente. Eine Zustimmung zur Organspende gab es in 110 Fällen, davon 30 in schriftlicher Form.

Auch die Zahlen an der Uniklinik Münster belegen: Organspendeausweis fördert Umsetzung des eigenen Willens und hilft Angehörigen

Bei einer vorhandenen schriftlichen Willensbekundung ergab die NRW-Studie eine hohe Zustimmungsrate von 70 Prozent, ähnlich wie in Umfragen der BZgA. Die Zustimmungsrate sank auf 49 Prozent, wenn alle Personen mit schriftlicher oder mündlicher Willensbekundung berücksichtigt wurden. Ist der Willen eines möglichen Organspenders aber unbekannt, so müssen die Angehörigen allein entscheiden. Eine Situation, die auch der Transplantationsbeauftragte des Universitätsklinikums Münster (UKM), Dr. Jan Englbrecht, aus seiner täglichen Arbeit kennt. „Die wenigsten potenziellen Spender haben ihren Willen in Form eines Organspendeausweises zuvor festgelegt und wenn den Angehörigen der Wille unklar ist, lehnen diese eine Spende dann zumeist ab“, erklärt der Mediziner und plädiert gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen dafür: „Den Entschluss für oder gegen eine Organspende sollte ein jeder für sich selbst treffen und dokumentieren, um dadurch seine Angehörigen, die ansonsten in dieser schweren Zeit des Abschiednehmens und Trauerns die Entscheidung für oder gegen eine Organspende treffen müssen, zu entlasten.“ In der NRW-Studie hatten jedoch nur 14 Prozent der potenziellen Spender einen Organspendeausweis. Gemäß der BZgA-Umfrage wäre dies jedoch bei 44 Prozent der Bevölkerung zu erwarten gewesen.

Für Englbrecht steht mit Blick auf die Studienergebnisse außer Frage, dass in Deutschland nochmals über die gesetzlichen Grundlagen und Anforderungen der Organspende diskutiert werden muss. „Die Maßnahmen aus dem Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft haben offensichtlich bisher keinen positiven Effekt auf die Organspendezahlen und die Dokumentation einer Entscheidung zur Spende. Deshalb sehen auch wir es als notwendig an, die Einführung einer Widerspruchslösung erneut zu diskutieren.“

Publikation:
Englbrecht, Jan Sönke; Schrader, Daniel; Kraus, Holger; Schäfer, Melanie; Schedler, Dirk; Bach, Friedhelm; Söhle, Martin: Willensbekundungen und Zustimmungen zur Organspende in sieben NRW-Universitätskliniken; Dtsch Arztebl Int 2023; DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0367 [Link]

Ergänzende Informationen:
Interview mit Dr. Jan Englbrecht vom 17.01.2023: Einbruch bei der Zahl der Organspenden in 2022: Pandemie sorgt für rückläufige Spendezahlen

Organspende: Ein Ausweis, der Leben retten kann

Organspende: Ein Ausweis, der Leben retten kann

Bild: Einen Organspendeausweis kann man online ausfüllen und herunterladen, man kann ihn sich aber auch als Plastikkarte per Post zuschicken lassen und dann zu Hause in Ruhe ausfüllen. Foto: djd/www.viactiv.de/Getty Images/Andresr

Organspende: Die wichtigsten Fragen und Antworten

(djd) – 84 Prozent der Deutschen stehen Umfragen zufolge der Organspende positiv gegenüber – doch nur ein Bruchteil dokumentiert die Entscheidung in einem Organspendeausweis und kommt somit als Spender oder Spenderin infrage. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gab es 2020 bundesweit nur 913 Organspender. Zum Vergleich: Etwa 9.100 Menschen stehen allein in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Die meisten von ihnen warten auf eine Spenderniere.

Welche Regelung gilt aktuell in Deutschland?

In Deutschland gilt die Entscheidungslösung: Organe und Gewebe dürfen nur dann entnommen werden, wenn der Verstorbene seine Zustimmung vor seinem Tod dokumentiert hat, etwa in einem Organspendeausweis. Wenn keine Entscheidung vorliegt, werden die Angehörigen zum vermeintlichen Willen des Verstorbenen befragt. In vielen anderen Ländern gelten dagegen häufig die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung und die Widerspruchslösung. Wer sich zu Lebzeiten nicht aktiv gegen eine Organ- oder Gewebeentnahme nach dem Tod ausgesprochen hat, kommt automatisch als Spender infrage. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:

Wie komme ich an einen Ausweis und wo erhalte ich Unterstützung bei der Entscheidungsfindung?

Einen Organspendeausweis kann man online ausfüllen und herunterladen, man kann ihn sich aber auch als Plastikkarte per Post zuschicken lassen und zu Hause in Ruhe ausfüllen. Krankenkassen wie die Viactiv wollen bei der persönlichen Entscheidungsfindung unterstützen. Infos dazu gibt es unter www.viactiv.de/services/organspendeausweis und unter der rund um die Uhr erreichbaren Service-Hotline 0800-22212.

Welche Organe werden gespendet?

Transplantiert werden können unter anderem das Herz, die Nieren, die Leber, die Lunge, die Bauchspeicheldrüse und der Dünndarm. Neben Organen kann auch Gewebe gespendet werden. Das am häufigsten transplantierte Organ ist die Niere.

Wer darf Spender sein?

Grundsätzlich jeder, das Alter ist irrelevant. Wichtig ist nur, dass die Organe gesund sind und fehlerfrei funktionieren. In seltenen Fällen darf man sie auch für eine Lebendspende zur Verfügung stellen, meist eine Niere oder einen Teil der Leber. Dies ist jedoch nur bei Verheirateten, Verwandten oder sehr engen Freunden erlaubt.

Wer koordiniert die Organvergabe?

Die gemeinnützige Stiftung Eurotransplant ist dafür zuständig, dass alle Spenderorgane, die in Deutschland, Belgien, Kroatien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Ungarn und Slowenien entnommen werden, an die passenden Patienten vermittelt werden. Über die Stiftung sind alle Patienten der Mitgliedsländer registriert, die auf ein oder mehrere Organe warten.