Diagnose NPC – aus Puzzleteilen wird ein Bild

Diagnose NPC – aus Puzzleteilen wird ein Bild

Bild: Freuen sich über ihren erneuten Forschungserfolg im Feld der Seltenen Erkrankungen: Dr. Julien Park (r.) und Prof. Thorsten Marquardt (Foto: Uni MS/E. Wibberg)

Die Niemann-Pick-Erkrankung (NPC) ist den meisten kein Begriff, denn sie gehört zu den seltenen Erkrankungen; nur eine von rund 100.000 Personen in Europa ist betroffen. Die als „Kinderdemenz“ bekannte Fettstoffwechselerkrankung kann in mehreren Varianten auftreten, ist vererblich und in ihrem Verlauf schwer aufzuhalten. Doch dank vieler Studien lässt sich inzwischen die Überlebenszeit der Betroffenen verlängern. Marius und Roald Seifert sind zwei dieser Menschen, die davon profitieren, dass Forscher wie Prof. Thorsten Marquardt und Dr. Julien Park vom UKM (Universitätsklinikum Münster) immer wieder neue Wege im Kampf gegen seltene Erkrankungen suchen.

Niemann-Pick-Erkrankung (NPC): Die als „Kinderdemenz“ bekannte Fettstoffwechselerkrankung

Münster (ukm/aw) – Den Tag, an dem endlich die Diagnose NPC (Niemann-Pick Typ C) gestellt wurde, wird Dorothea Seifert nie vergessen. Die Eltern von Marius und Roald hatten bis Februar 2016 immer wieder mit scheinbar unerklärlichen Auffälligkeiten bei zwei ihrer drei Söhne gekämpft. Weil aber Ärztinnen und Ärzte keinen Verdacht auf etwas Schwerwiegendes hegten und weil die Schwierigkeiten der beiden auch nicht gleich waren, brachte niemand sie in einen Zusammenhang. „Dass es sich bei unseren beiden betroffenen Söhnen um die gleiche genetisch bedingte Krankheit handelt, ist immer noch schwer zu glauben, da sie sich so unterschiedlich auswirkt. Marius ist eher motorisch betroffen, Roald kognitiv“, sagt Dorothea Seifert. „Über viele Jahre haben wir bei verschiedenen Ärzten verschiedene Diagnosen erhalten, immer neue Puzzleteile, die sich mit der Diagnose Niemann-Pick dann endlich zu einem Gesamtbild zusammenfügten.“

Beide Söhne leiden unter dem juvenilen Subtyp von NPC. Im Volksmund heißt die Erkrankung auch „Kinderdemenz“. Die neurodegenerativen Symptome entwickeln sich schleichend. Erste Veränderungen treten im Grundschulalter auf. Bei Marius, der bis dahin nur als motorisch ungeschickt galt, verschlechterte sich neben den schulischen Leistungen auch die Aussprache. Logopädie und Ergotherapie brachten nur bedingt Erfolge. Gleichzeitig nahm er an Gewicht zu, schließlich wurde eine Fettleber diagnostiziert. „Die körperlichen Symptome bei den von NPC betroffenen Patientinnen und Patienten resultieren aus der Anreicherung von Cholesterin vor allem in den Nervenzellen, insbesondere aber im Gehirn. Folgen wie eine sich zunehmend verschlechternde Aussprache und Gangstörungen gehören zu den ersten Symptomen, später wird noch mehr vorher Erlerntes nach und nach vergessen“, weiß Prof. Thorsten Marquardt, Leiter des Bereichs für angeborene Stoffwechselerkrankungen in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKM. Marquardt ist bundesweit anerkannter Experte auf seinem Gebiet, zu ihm kamen die Seiferts, die eigentlich aus dem Rheinland stammen, durch eigene Recherche.

Zusammen mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Julien Park treibt Marquardt die Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten für Kinder wie Marius und Roald voran. Beide jungen Männer werden derzeit mit unterschiedlichen Therapien versorgt: Während Roald (im Rahmen eines Expanded Access-Programms) mit Arimoclomol behandelt wird, ist Marius Proband einer internationalen Phase III-Studie, bei der die Wirkung der modifizierten Aminosäure N-Acetyl-L-Leucin auf NPC-Erkrankte untersucht wird. Münster ist für Niemann-Pick-Erkrankungen das deutschlandweit führende Studienzentrum. „Die Ergebnisse der randomisierten Doppelblind-Studie sind ermutigend“, so Park. „Wir sehen eine signifikante Besserung der Symptome und Lebensqualität unter der Therapie.“
Zwar kann generell noch kein Rückschluss auf den Langzeiteffekt des neuen Therapieversuchs gezogen werden. Dennoch sind die Studienergebnisse ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Behandlung von NPC. Es besteht die Hoffnung, dass das Medikament auch bei anderen neurologischen Erkrankungen Anwendung finden könnte.

Für Familie Seifert war es ein langer Weg von fast zehn Jahren, mit vielen Diagnosen, Ärzten und Therapeuten und vielen Entscheidungen und Maßnahmen auf dem Lebensweg der Kinder. Marius und Roald – inzwischen 26 und 22 Jahre alt – leben trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen seit einiger Zeit gemeinsam in einem eigenen Haushalt. Beide gehen einer Arbeit nach, die ihnen Spaß macht. Wie es weitergeht? Dorothea Seifert möchte nicht zu weit in die Zukunft schauen. Aber die Hoffnung, dass es eines Tages vielleicht eine wirkungsvolle zugelassene Therapie gegen NPC geben wird, gibt ihr Zuversicht. Im Vorstand der Niemann-Pick-Selbsthilfegruppe e.V. versucht sie, Forschung und Erkenntnisse über die Erkrankung gezielt voranzubringen.

Information:
Die Ergebnisse der Studie wurden in der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlicht. Eine Pressemitteilung hierzu finden Sie auf der Website der Medizinischen Fakultät der Universität Münster.

Gegen das frühe Vergessen: Uni Münster an internationaler Studie zur Niemann-Pick-Erkrankung beteiligt

Münster (mfm/jg) – Nein, das ist kein Oxymoron wie „bittersüß“ – leider: „Kinderdemenz“ ist eine reale Krankheit und tritt in mehr als 250 Formen auf. Auf rund 100.000 Menschen kommt statistisch ein Fall der Stoffwechselerkrankung Niemann-Pick Typ C, deren Behandlungsmöglichkeiten begrenzt sind – noch: Die Abteilung für Angeborene Stoffwechselerkrankungen der Universität Münster ist an einer internationalen Studie zur Wirksamkeit der modifizierten Aminosäure N-Acetyl-L-Leucin (N-ALL) beteiligt und hat zu vielversprechenden Ergebnissen beigetragen. Diese sind jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ erschienen.

„Niemann-Pick Typ C ist eine seltene angeborene Stoffwechselerkrankung, die meist im Kindesalter beginnt und zu schwerwiegenden Einschränkungen sowie dem fortschreitenden Verlust neurologischer Fähigkeiten bis hin zum Tod führt“, erklärt Dr. Julien Park, der zu der Arbeitsgruppe um Prof. Thorsten Marquardt an der Uniklinik für Kinder- und Jugendmedizin zählt. Ausgelöst wird die Form von Kinderdemenz durch Mutationen in den Genen NPC1 und NPC2; die Folge ist ein gestörter Cholesterin-Transport in den Körperzellen, der besonders in Nervenzellen Ablagerungen von Cholesterin verursacht.

Zur Behandlung wird in der Europäischen Union bisher nur das Medikament Miglustat eingesetzt – dies kann den Krankheitsverlauf jedoch nur hinauszögern; in den USA ist es nicht einmal zugelassen. Insgesamt 14 internationale Forschungseinrichtungen, unter anderem das University College London, die Mayo Clinic in den USA, das Universitätsspital Bern und die LMU München, haben in einer gemeinsamen Phase-III-Studie eine Versuchsgruppe von Betroffenen behandelt. Die Teilnehmenden erhielten für drei Monate N-ALL und für drei Monate ein Placebo – ohne dass sie oder das Studienteam wussten, mit welchem Mittel sie wann behandelt wurden. Das Ergebnis: Während sich bei der Behandlung mit N-ALL die Symptome merklich verringerten, die Lebensqualität und kognitive Funktion der Erkrankten stiegen, zeigte sich unter Placebo keine Verbesserung.

„Diese positiven Studienergebnisse sind ein wichtiger Schritt zu einer besseren Behandlung dieser seltenen, aber schwerwiegenden neurodegenerativen Erkrankung. Und es gibt sogar die Hoffnung, dass das Medikament auch bei anderen neurologischen Krankheiten helfen kann“, resümiert AG-Leiter Prof. Marquardt. Aufgrund der begrenzten Studiendauer könnten jedoch noch keine Rückschlüsse auf einen langfristigen Effekt gezogen werden, so Park. „In einer bereits laufenden ‚Extension Phase‘ sammeln wir daher jetzt Langzeitdaten.“ [PubMed-Link zur Publikation]