Krankenhausplan NRW: Univ.-Prof. Alex W. Friedrich im Interview

Krankenhausplan NRW: Univ.-Prof. Alex W. Friedrich im Interview

Bild: Univ.-Prof. Alex W. Friedrich, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKM. (Foto: WWU/E Wibberg)

Münster (ukm/maz) – Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat im August die Planungen zur Umsetzung der neuen Krankenhausplanung vorgestellt. Statt konkurrierender Angebote soll es zukünftig regionale, einrichtungsübergreifende wohnortnahe Versorgungskonzepte geben, damit knappe Ressourcen wie Personal und Investitionsmittel optimal für Patientinnen und Patienten eingesetzt werden können. Die Landesregierung will mit dem Konzept „Keine Konkurrenz, sondern Kooperation!“ Vorreiter in Deutschland werden. Doch was heißt das für die hiesigen Kliniken, welche Rolle spielt die Universitätsmedizin? Das ist nur eine der Fragen an Prof. Alex W. Friedrich, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKM (Universitätsklinikum Münster). Bereits im Sommer 2023 will das Gesundheitsministerium über die finalen Versorgungsaufträge entscheiden.

Herr Prof. Friedrich, ab 17. Oktober werden die Krankenhäuser in NRW von den Bezirksregierungen aufgefordert, gemeinsam mit den Krankenkassen regionale Planungskonzepte zu erarbeiten und einzureichen. Hat das UKM schon Pläne in der Schublade?

Auch wenn wir uns bereits mit dem Thema beschäftigen, bedarf es bei einer Reform dieser Tragweite natürlich einer Abstimmung mit den anderen Partnern unserer Versorgungsregion, vor allem unserer sogenannten Versorgungsregion 9. Das Wichtige ist dabei, dass wir zum einen betrachten, was passiert in unserer Versorgungsregion, wie können die Bürgerinnen und Bürger optimal versorgt werden und wie spielen die verschiedenen Akteure im Gesundheitssystem miteinander. Und zum anderen, wie stellen wir uns als UKM, als einziges Universitätsklinikum in der Region und letztlich im Nordwesten Deutschlands auf. Wir müssen uns die Frage stellen, wofür sind wir eigentlich hier, was erwartet die Gesellschaft von einem Uniklinikum. Aus meiner Sicht stehen wir als UKM für die Versorgung, die keiner so bieten kann, wie wir das können. Zudem bilden wir zukunftsfähige Mitarbeiter aus und weiter und entwickeln die Gesundheitsversorgung der Zukunft. Maßgeschneidert für die Bedürfnisse der Menschen hier im Nordwesten

Aber bringt der Krankenhausplan nicht mit sich, dass zukünftig die Politik bestimmt, in welchem Haus Patientinnen und Patienten behandelt werden?
Der Krankenhausplan wird uns ja nicht aufoktroyiert, sondern bietet uns die Chance, die Gesundheitsplanung gemeinsam neu zu definieren und optimal für die Bürgerinnen und Bürger unsere Versorgungsregionen miteinander abzustimmen. Es geht also nicht mehr darum, dass jedes Krankenhaus macht, was jeder kann, sondern zu machen, was medizinisch für unsere Bürger*innen notwendig ist. Und das bedeutet, dass Patientinnen und Patienten zukünftig alles in der Region bekommen, aber nicht mehr unbedingt alles von jedem Haus angeboten werden soll. Mindestabstände und Vielfalt bleiben dabei erhalten.

Sehen Sie darin eine Chance oder ein Risiko?
Das ist definitiv die Chance, eine regionale Effizienz ins Gesundheitssystem zu bekommen und optimale Abstimmungen zwischen verschiedenen Partnern zu erreichen. Natürlich wird dieser Prozess bis ins letzte Detail viele Jahre dauern, aber wir müssen jetzt die Weichen stellen, um unser Gesundheitssystem zu reformieren. Diese Chance bekommt man nicht in jeder Generation und ich freue mich darauf, dass wir jetzt diese Möglichkeit ergreifen können. Abwarten ist aus meiner Sicht keine Alternative.

Was bedeutet das konkret für das UKM? Wie gehen Sie jetzt ab Oktober in die Gespräche?
Ich sehe die hervorragende Arbeit, die bereits bestehende Multidisziplinarität und vor allem auch die regionale und überregionale Zusammenarbeit, die bereits jetzt schon am UKM gelebt wird. Diese Kooperationen, die sowohl im UKM als auch mit anderen Häusern in unserer Versorgungsregion und darüber hinaus existieren, werden durch diesen Prozess weiter gestärkt und gefördert. Da gibt es sehr viele gute Beispiele und ich sehe das UKM hier auf einem guten Kurs. Universitäre Versorgung hat neben der Forschung die Multidisziplinarität als Alleinstellungsmerkmal. Wir haben Fächer und Experten, die kein anderes Haus vorhalten kann. In anderen Bereichen werden wir neue Modelle erarbeiten müssen und es wird auch Kooperationen geben, die wir stoppen werden, weil sie nicht mehr dem Gesamtkonzept dienen. Da ist vieles im Fluss, aber zentral ist die optimale Patientenversorgung.

Wenn wir jetzt an den Standort Münster und die Region denken. Wie wird sich die Krankenhaus-Landschaft zukünftig verändern?
Wir müssen erarbeiten, was die Bevölkerung unserer Region braucht. Das ist zum Teil anders als im Ruhrgebiet und anders als im Siegerland oder im Rheinland. Wir müssen uns miteinander in Münster und im Münsterland abstimmen und schriftlich in Verträgen festlegen, wer was macht. Trotzdem wird es noch eine Vielfalt geben, aber es wird für Patientinnen und Patienten nicht fünf verschiedene Anbieter in einer Stadt geben. Eine Wahl ist auch gegeben, wenn es zwei oder drei gute Anbieter gibt, die dennoch miteinander Hand in Hand arbeiten. Das ist eine grundlegende Veränderung des Gesundheitssystems, die man aber übrigens nicht losgekoppelt vom ambulanten Versorgungssystem und auch vor allem von den Rehakliniken und den Alten- und Pflegeheimen sehen kann. Es muss in der gesamten Versorgungskette geschaut werden, wo und wie werden verschiedene Patientinnen und Patienten für ihre Erkrankungen optimal behandelt und weiterversorgt.

Nach einem Spaziergang klingt dieser Prozess jedoch nicht…
Es wird auch Momente geben, wo es Konflikte gibt, weil niemand etwas aufgeben will. Aber da muss es auf der Arbeitsebene eine Lösung geben, sonst werden die Bezirksregierung oder das Ministerium eine Entscheidung fällen oder möglicherweise Kostenträger, im ungünstigsten Fall Gerichte. Wenn es so weit kommt, dann finde ich, machen wir unsere Arbeit nicht richtig. Denn niemand weiß besser, wie Patientinnen und Patienten optimal versorgt werden können, als diejenigen, die es jeden Tag machen. Es geht eben ab sofort nicht mehr darum, immer mehr, sondern mehr gemeinsam zu machen.

Gibt es in Münster bereits Gespräche zwischen den Krankenhäusern?
Auch wenn schon erste informelle Gespräche laufen, wird es letztendlich erst jetzt ab Mitte Oktober bis Anfang 2023 zu Verhandlungen am Tisch kommen. Die Zeitplanung vom Land dafür ist straff und ich stelle mir vor, dass man unter Moderation der Bezirksregierung sowie weiterer Expertenorganisationen, die das regionale Versorgungssystem kennen und interessenneutral sind, zusammenkommen muss. Ich bin guter Dinge, dass wir hier in unserer Versorgungsregion eine gute Lösung erreichen werden!

Video: „Keine Konkurrenz, sondern Kooperation!“: Univ.-Prof Alex W. Friedrich zu den Chancen des Krankenhausplans NRW für die Gesundheitsversorgung in den Regionen.
Affenpocken – Potenzial für eine neue Epidemie? ­

Affenpocken – Potenzial für eine neue Epidemie? ­

Bild: Prof. Stephan Ludwig, Leiter des Instituts für Virologie am UKM und Koordinator der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen.

Münster (ukm/aw) – Affenpocken-Infektionen breiten sich seit Anfang Mai weltweit aus. Experten rechnen bisher aber nicht mit einer neuen Pandemie. Erstmals entdeckt wurde das Virus 1958, ein Überspringen der Zoonose auf den Menschen wurde erstmals 1970 dokumentiert. Prof. Stephan Ludwig ist Leiter des Instituts für Virologie der WWU und des UKM (Universitätsklinikum Münster) und koordiniert an seinem Institut die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen – kennt sich also bestens aus mit Erregern, die eigentlich im Tier entstanden sind.

Herr Prof. Ludwig, was genau ist eine Zoonose?
Eine Zoonose ist eine Infektionskrankheit, bei der ein Erreger von Tieren auf den Menschen überspringt oder umgekehrt. Eigentlich ist das ein Unfall in der Evolution der Viren, dass man plötzlich eine neue Wirtsspezies angreift. Das führt dann aber leider auch dazu, dass es in der Regel keinen guten Infektionsschutz gibt, weil der Mensch mit dem Erreger noch nicht in Kontakt gekommen ist oder dagegen geimpft ist.

Haben Virologen eine Idee dazu, warum jetzt weltweit so viele Fälle neu auftreten?
Nein. Es gibt viele Vermutungen, die aber noch nicht wissenschaftlich geprüft sind. Eine Vermutung ist die Adaptation des Virus. Viren verändern sich, auch wenn ein Pockenvirus genetisch stabiler ist als beispielsweise ein Corona- oder ein Grippevirus. Es könnte zu einer Veränderung im Affenpockenvirus gekommen sein, die Menschen plötzlich empfänglicher werden lässt für diese Viren. Deswegen ist es wichtig, dass wir Infizierte insbesondere auch von Tieren isolieren, damit der Mensch das Virus nicht an eine andere Tierart zurückgibt. Das wäre in der Tat eine Übertragung, die sich als gefährlich erweisen könnte.

Wie ist denn der Übertragungsweg?
Also die ursprüngliche Übertragung des Virus von Tier auf Mensch kommt vermutlich durch engen Kontakt mit Tieren oder eventuell durch Tierbisse. Im Moment findet man die Übertragung von Mensch zu Mensch. Man weiß, dass es über Körperflüssigkeiten passiert, über engen Kontakt von Personen. Es handelt sich, soweit bisher bekannt, nicht um einen aerosolisch übertragbaren Erreger. Tröpfcheninfektionen sind selten und passieren dann, wenn sich im Mund Pusteln bilden und damit die Viren dann im Sputum (Speichel) sind. Wichtig finde ich zu sagen, dass es absolut nicht angebracht ist, die Übertragbarkeit des Virus nur auf Männer zu reduzieren, die Sexualverkehr mit anderen Männern haben. So wie bei den ersten AIDS-Infektionen in den Achtzigern kann es jeden und jede treffen.

Woran merke ich, dass ich infiziert bin?
Die Infektion äußert sich durch klassische Erkältungssymptome wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Das Spezifische ist aber das Auftreten von Läsionen auf der Haut, also Pusteln. Da sollten wir jetzt vor allem unsere Mediziner sensibilisieren, dass sie solche Befunde in Zusammenhang bringen und Patient*innen dann auf die Infektion testen lassen. In der Regel sind die Infektionsverläufe milde. Es gibt aber auch schwerere Verläufe vor allem bei immunsupprimierten Personen. Eine schwere Komplikation, die durchaus zum Tod führen kann, kann auch eine bakterielle Co-Infektion oder sogar eine bakterielle Sepsis sein, die sich entwickelt, wenn sich die Pusteln öffnen und infizieren.

Müssen Patient*innen isoliert werden?
Ja, solange sie Symptome haben, sind sie auch ansteckend, also zwischen zwei bis vier Wochen im Normalfall. Es ist allerdings anders als bei Corona, weil das Virus nicht über Aerosole in der Luft übertragbar ist. Aber direkter Kontakt mit den Pusteln und Körperflüssigkeiten von Infizierten muss vermieden werden.

Gibt es Medikamente gegen die Affenpocken?
Es gibt in der Tat ein Therapeutikum – eigentlich ist das gegen die klassischen Pocken entwickelt worden. Das ist in Europa zugelassen und könnte bei Infektionsfällen off-Label genutzt werden als individueller Heilversuch. Da müssen wir aber erst sehen, wie das in der Klinik wirklich anschlägt.

Menschen über 50 haben ja oftmals noch eine Pocken-Impfung bekommen. Schützt die?
Das scheint so zu sein. Dazu gibt es Zahlen, die belegen, dass die Schutzwirkung bei der älteren Bevölkerung bis zu 85 Prozent sein könnte. Ähnlich wie beim Corona-Virus heißt das nicht, dass Ältere sich nicht mit dem Virus anstecken können. Allerdings wären schwere Verläufe eher unwahrscheinlich. In der EU ist ein Impfstoff gegen Pocken zugelassen – auch hier könnte man, ähnlich wie bei den Medikamenten, eine off-Label-Verwendung gegen Affenpocken versuchen. In Großbritannien ist man aktuell den Schritt gegangen, die Impfung für gewisse Risikozielgruppen vorsorglich anzubieten.

Würden Sie aus virologische Sicht eine Impfung empfehlen?
Es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Diese neue Ausbreitung über vier Kontinente gleichzeitig ist ungewöhnlich und die müssen wir beobachten. Noch sind die Zahlen gering, aber sie werden sicher ansteigen. Wir müssen das beobachten und sollte das Ganze aber an Fahrt aufnehmen, dann müsste man über eine Impfempfehlung vulnerabler Gruppen nachdenken.

Video: Prof. Stephan Ludwig zum Risiko einer Infektion durch Affenpocken, Schutzmaßnahmen, Impfung und Forschungsstand (Langversion).
Kinder impfen – ja oder nein?  „Wir sollten den Kindern jetzt die Chance geben, sich zu schützen!“

Kinder impfen – ja oder nein? „Wir sollten den Kindern jetzt die Chance geben, sich zu schützen!“

Bild: Gute Verträglichkeit und keine schweren Nebenwirkungen: Prof. Heymut Omran, seit 2010 Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Allgemeine Pädiatrie am UKM und selbst Vater von zwei Kindern, befürwortet die Impfung von Kindern ab fünf Jahren.

Münster (ukm/maz) – Nach der heutigen Zulassung des Biontech-Impfstoffs für Kinder ab fünf Jahren durch die Arzneimittelbehörde EMA spricht sich Prof. Heymut Omran, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKM (Universitätsklinikum Münster), mit seinem Team für einen zügigen Start der Impfungen aus. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sollen dafür noch im Dezember 2,4 Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Im Interview spricht Omran über Wirksamkeit, mögliche Nebenwirkungen sowie den richtigen Zeitpunkt der Impfung – und die große Chance, dass Kinder wieder mehr Freiheit erlangen und psychische Belastungen minimiert werden können.

Herr Prof. Omran, die Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA ist da, die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) noch nicht. Sollen Eltern noch abwarten oder jetzt zügig ihre Kinder impfen lassen?

Omran: Wir sind jetzt erneut in einer COVID-Welle und wir wissen, dass uns diese vierte Welle den gesamten Winter beschäftigen wird. Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Deswegen muss man jetzt impfen und sollte nicht abwarten, sondern den Kindern die Chance geben, sich zu schützen.

Aber Kinder haben meist milde Verläufe. Wieso ist eine Impfung dennoch sinnvoll?

Omran: Ich denke, es gibt verschiedene Gründe. Wenn ein Kind zum Beispiel ein älteres Familienmitglied nicht anstecken kann, Oma und Opa also sicherer sind, dann ist das sehr hilfreich. Aber das Kind hat selbst auch einen Schutz und Vorteile. Im Rahmen einer COVID-Erkrankung kann es zum Beispiel eine Multi-System-Inflammationserkrankung bekommen und diese Entzündung kann auch zu Herzentzündungen führen. Im Gegenzug ist die Nebenwirkungsrate einer Impfung im Bereich des Herzens deutlich geringer als die Wirksamkeitsrate gegen diese schwere Problematik im Rahmen einer COVID-Infektion.

Wie wirksam ist die Impfung bei Kindern?

Omran: Die Impfung bei Kindern ab fünf Jahren erfolgt mit dem Impfstoff, der auch bei Erwachsenen verwendet wird, jedoch mit einem Drittel der Dosis. Die Wirksamkeit ist sehr ähnlich wie bei Erwachsenen, das bedeutet einen Schutz von etwa 90 Prozent.

Die Daten klingen vielversprechend, Kritikern sind 8000 Teilnehmer der Zulassungsstudie jedoch zu wenig. Wie bewerten Sie die aktuelle Datenlage?

Omran: Es ist vollkommen richtig, dass in der Zulassungsstudie nur eine kleine Gruppe von Kindern untersucht wurde. Aber in den USA wurden mittlerweile zwei Millionen Kinder geimpft und da hat sich bestätigt, dass wir hier keine großen Probleme gesehen haben. Ich persönlich rechne sogar eher mit etwas weniger Nebenwirkungen als bei Jugendlichen, da im Rahmen der Pubertät etwas mehr Nebenwirkungen auftreten und wir bei den Kindern nun ja im präpubertären Stadium sind.

Was sind bisher bekannte Nebenwirkungen?

Omran: Die Nebenwirkungen waren in der Beobachtungsstudie sehr gering, das waren vor allem Lymphknotenschwellungen in der Häufigkeit von circa einem Prozent. Andere Nebenwirkungen kennt man natürlich auch, wie eine leichte Rötung der Impfstelle oder auch etwas Fieber. Schwerere Nebenwirkungen wurden noch gar nicht beobachtet.

Als schwere Nebenwirkung kursierte in den Medien jedoch immer wieder etwas von Herzmuskelentzündungen. Stimmt diese Aussage?

Omran: Man hat gesehen, dass es selten bei männlichen Jugendlichen und noch etwas seltener bei weiblichen Jugendlichen zu solchen Herzentzündungen gekommen ist. Was aber wichtig ist: Diese Herzentzündungen waren in der Regel alle vergesellschaftet mit einem guten klinischen Verlauf. Die Herzentzündungen, die im Rahmen einer Inflammationserkrankung, also einer COVID-Erkrankung auftraten, waren deutlich schwerer.

Was raten Sie Eltern, deren Kinder eine Grunderkrankung haben. Gibt es Gründe, mit einer Impfung eher zurückhaltend zu sein?

Omran: Man sollte vor der Impfung natürlich immer eine sorgsame Aufklärung bei seinem Kinderarzt wahrnehmen. Wenn ein Kind eine besondere Grunderkrankung hat, zum Beispiel eine Herzerkrankung, sollten Eltern zusätzlich mit dem entsprechenden Spezialisten reden, um zu sehen, ob es hier doch auch mal besondere Gründe gegen eine Impfung gibt. Das wird aber sehr, sehr selten sein. Eher wird eine schwere Grunderkrankung ein besonderer Grund sein, diese COVID-Impfung zu veranlassen.

Einige Erwachsene haben nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kinder Angst vor Langzeitfolgen einer Impfung. Wie ist hierzu die Datenlange?

Omran: Ich habe weder bei Kindern noch bei Erwachsenen Erkenntnisse für Langzeitschäden nach den bisherigen Impfungen. Ich rechne auch nicht damit.

Langzeitfolgen der Pandemie sind hingegen bereits bekannt, vor allem psychische. Die Zahl an hilfesuchenden Kindern, Jugendlichen und Eltern ist immens gestiegen. Welchen Beitrag kann die Impfung in dieser Hinsicht leisten?

Omran: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Kinder brauchen in ihrem Leben auch Freiheit, brauchen Entwicklungsmöglichkeiten, müssen auch andere Kinder treffen können, müssen spielerisch soziale Fähigkeiten erlernen können. Das können sie eigentlich nur in der Gruppe und das können sie nur mit Menschen und nicht nur virtuell. Und deswegen ist auch da die COVID-Impfung ein gutes Instrument, um Kindern diese Entwicklungsmöglichkeiten wiederzugeben. Ich rechne damit, dass dann auch weniger psychische Probleme auftreten, weil es ja schon zum Teil besorgniserregend ist, was wir erlebt haben bezüglich dieser anderen Nebenwirkungen der Erkrankung.

Abschließend noch eine persönliche Einschätzung: Ihre Klinik ist eine der größten in der Region mit entsprechend vielen Mitarbeiter*innen, von denen selbst viele Kinder unter elf Jahren haben. Wie wird das Thema bei Ihnen untereinander diskutiert?

Omran: In unserem Kinder-Infektiologischen Team sind auch viele Ärztinnen und Ärzte, die selbst Eltern sind und Kinder im entsprechenden Alter haben. Und all die Ärzte haben sich die Studienlage intensiv angeschaut und klar gesagt, sie würden und sie werden ihre eigenen Kinder impfen lassen.

Video: „In den USA wurden mittlerweile zwei Millionen Kinder geimpft – ohne große Nebenwirkungen.“ – Das komplette Interview mit Prof. Heymut Omran.

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Grippe- und Booster-Impfung gleichzeitig – ist das sinnvoll?

Grippe- und Booster-Impfung gleichzeitig – ist das sinnvoll?

Bild: Univ.-Prof. Heinz Wiendl ist Direktor der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie am UKM.

Münster (ukm/aw) – Der Herbst ist da und mit ihm die Frage, ob eine Impfung gegen Grippe vielleicht gerade in Pandemie-Zeiten besonders sinnvoll ist. Und wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt für die Drittimpfung, also die Booster-Impfung gegen COVID-19? Für Menschen über 70 oder Klinikpersonal hat das RKI diese bereits empfohlen. „Beides machen!“, rät der Neuroimmunologe Univ.-Prof. Heinz Wiendl, Direktor der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie am UKM (Universitätsklinikum Münster). Das Immunsystem sei hier zu vergleichen mit einem dezimierten „Fußballteam am Saisonende“ und beide Impfungen seien „eine Neuaufstellung und Auffrischung des körpereigenen Abwehr-Kaders“.

Herr Prof. Wiendl, wie sinnvoll ist eine Grippeimpfung in Zeiten der Corona-Pandemie?
Aus meiner Sicht ist die Grippeimpfung trotz oder gerade wegen der Pandemie absolut wichtig und zu empfehlen. Grundsätzlich vor allem für gewisse Risikogruppen. Das hat sich durch die Pandemie überhaupt nicht verändert. Im Gegenteil: Ich find’s sogar noch wichtiger, weil man die Gefahr aus meiner Sicht jetzt unterschätzt.

Braucht man denn im Moment wirklich einen Grippeschutz, im vergangenen Jahr gab es doch kaum Grippefälle?
Ich glaube nicht, dass man davon ausgehen kann, dass die Grippegefahr weniger virulent ist. Man kann durch die ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen gut erklären, warum wir im letzten Jahr weniger Grippeerkrankte hatten. Das wird sich ändern. Der Erreger, auch wenn er weniger präsent zu sein scheint, ist noch da und hat seine gewisse Saisonalität. Von daher glaube ich, dass es gerade nicht das Argument sein kann, Grippe von der Liste zu streichen, sondern man sollte sich weiter bestmöglich schützen.

Wenn ich mich für die Grippeimpfung entscheide und ich zu der genannten Gruppe gehöre, der jetzt auch bereits eine Booster-Impfung nahegelegt wird. Kann ich beide Impfungen gleichzeitig erhalten?
Zunächst mal gibt es aus immunologischer Sicht keinen Grund zu der Annahme, man könnte nicht doppelt impfen. Das Immunsystem ist jeden Tag vielen Erregern ausgesetzt – im „Feindkontakt“ mit der Umwelt sind das vielfachste Kontakte pro Tag. Das gleiche mutet man dem Immunsystem bei der Doppelimpfung zu, indem man zwei unterschiedliche Erregerabläufe nachstellt. Ich glaube sogar, dass das sinnvoll sein kann, denn theoretisch könnten sich die Immunantworten gegenseitig verstärken. Natürlich könnte ein Gegenargument sein, dass das Immunsystem im Moment der zweifachen Impfung noch mehr zu tun hat. Von der Theorie und der Umsetzbarkeit her halte ich eine Doppelimpfung für sinnvoll.

Wie erfolgt denn so eine Doppelimpfung?
Das läuft so, dass man zwei unterschiedliche Stellen, zum Beispiel den rechten und linken Oberarm, zum gleichen Zeitpunkt nimmt. Hintergrund ist, dass natürlich die Immunreaktion lokal beginnt – das wissen ja die meisten, dass es da lokal zu einer Schwellung oder Schmerzen kommen kann. Das würde man verstärken, wenn man nun beide Impfungen an ein und derselben Stelle setzt, sodass man die Impfstoffe an unterschiedlichen Stellen einbringt und quasi dort die jeweils eigene Initiierung der Immunreaktion beginnt.

Muss ich bei der Booster-Impfung damit rechnen, dass ich die gleichen Nebenwirkungen haben kann wie bei den ersten beiden Impfungen – oder vielleicht sogar stärker?
Also grundsätzlich ist bei jeder Impfung davon auszugehen, dass ein Immunreaktion ausgelöst wird und das kann natürlich mit Nebenwirkungen einhergehen. Es ist nicht vorherzusagen, ob das genauso, weniger oder sogar mehr ist. In Summe zeigen die bisher dazu erhobenen Daten, dass das Nebenwirkungsprofil gleichwertig oder zumindest nicht schlechter ist. Die Befürchtung könnte ja sein: Je mehr man impft, desto schlimmer wird es. Das ist definitiv nicht so.

Für all diejenigen, bei denen die vollständige Impfung erst in den Sommermonaten erfolgt ist: Wann ist der ideale Zeitpunkt für eine Drittimpfung?
Man sagt, dass der ideale Zeitpunkt sechs Monate nach der zweiten Impfung liegt. Meine Empfehlung wäre, mit Ausnahme der Bevölkerungsgruppen, wo eine Impfung eben nicht zugelassen ist, dass die sich in jedem Fall Booster-impfen lassen sollten. Das Immunsystem ist komplex und funktioniert wie ein Team. Man muss sich das vorstellen wie eine neu aufgestellte Fußballmannschaft in einer langen Saison. Sie haben nur eine gewisse Anzahl von Spielern, es gibt Verletzte, es gibt welche, die fallen aus Altersgründen aus… und irgendwann mal ist die Mannschaft auf dem Platz nicht mehr vollzählig. Und was sie dann mit der Booster-Impfung tun: Sie frischen den Kader auf. Sie kriegen neue Spieler. Das Spiel bleibt dasselbe, aber als Team werden sie dadurch besser.

Noch abschließend die Frage: Macht ein Antikörper-Test Sinn, um zu entscheiden, ob eine dritte Impfung überhaupt notwendig ist?
Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, den Antikörper-Status generell zu bestimmen, da es noch keine verlässlichen Grenzwerte gibt, welche Menge an Antikörpern und der schwer messbaren T-Zellen man haben muss, um geschützt zu sein. Im Einzelfall – wenn ich zum Beispiel eine schwere Grunderkrankung habe und es zu erwarten ist, dass meine Immunantwort auf die ersten beiden Impfungen schlecht war – kann es jedoch sinnvoll sein, den theoretischen Schutz ermitteln zu lassen. Wichtig ist: Im Regelfall sind nach den ersten beiden Impfungen bei über 90 Prozent der Menschen Antikörper signifikant messbar.

Video: „Ich halte eine Doppelimpfung für sinnvoll!“ – Das komplette Interview mit Univ.-Prof. Heinz Wiendl.
Ibuprofen vorsorglich gegen Impfreaktion?

Ibuprofen vorsorglich gegen Impfreaktion?

Bild: Univ.-Prof. Heinz Wiendl zu den Auswirkungen von anti-entzündlichen Schmerzmitteln in Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen im Interview

Egal, um welchen Impfstoff gegen Covid-19 es sich handelt: Eine Impfreaktion in Form von Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost, Übelkeit oder Fieber ist als normal zu werten. Ein solches Krankheitsgefühl bedeutet, dass die körpereigene Abwehr auf den Impfstoff „anspringt“ und entsprechend reagiert. Trotzdem hoffen viele, mögliche Krankheitssymptome durch die vorherige oder gleichzeitige Einnahme von anti-entzündlichen Schmerzmitteln wie Ibuprofen vermeiden oder zumindest abmildern zu können. Das allerdings könnte sich kontraproduktiv auswirken.

Münster (ukm/aw) – Die Idee, mit der Einnahme von Ibuprofen Grippeähnliche Symptome quasi schon im Vorfeld einer Impfung gegen Covid-19 ausschalten zu wollen, kann Univ.-Prof. Heinz Wiendl zwar nachvollziehen. Schließlich hat niemand gerne die oben beschriebenen Symptome. „Trotzdem ist es nicht sinnvoll, sondern im Gegenteil eher kontraproduktiv, diese mit schmerz- und fiebersenkenden Substanzen abmildern zu wollen. Denn man weiß, dass anti-entzündliche Mittel die körpereigene Immunreaktion und damit dann letztlich den Erfolg der Impfung reduzieren können“, sagt der Direktor der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie am UKM (Universitätsklinikum Münster). Auf diesen Zusammenhang deuten Studien hin, die das für andere Impfstoffe in der Vergangenheit überprüft haben.

Unabhängig davon, ob es sich um die erste oder die zweite Impfung gegen Covid-19 handelt: Sollten die Krankheitssymptome den Zustand des Impflings wirklich stark beeinträchtigen, empfiehlt Wiendl, frühestens sechs Stunden nach der Impfung Schmerzmedikamente zu nehmen. „Einfach weil die unterschiedlichen Substanzen gegen Schmerzen und Fieber in die Signalwirkung des Aufbaus einer Immunabwehr eingreifen“. Ob Ibuprofen, Paracetamol, Diclofenac oder Novalgin – welches Mittel eingenommen werde, sei dabei ohne Bedeutung. ­­

Video: Univ.-Prof. Heinz Wiendl zu den Auswirkungen von anti-entzündlichen Schmerzmitteln in Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen. (Direkt-Download)