Hörminderung: Hörversorgung speziell für Kinder

Hörminderung: Hörversorgung speziell für Kinder

Bild: Pädakustikerinnen und -akustiker können moderne Hörgeräte programmieren und optimal an das Gehör des Kindes anpassen. Foto: DJD/Geers/Getty Images/Zinkevych

Ratgeber Gesundheit: Hörminderung bei Kindern erkennen und richtig versorgen

(djd) – Eine Hörminderung ist die häufigste angeborene Sinnesstörung, die bundesweit nach Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit etwa 80.000 Kinder betrifft. Mittlerweile ist die Hörakustik so weit fortgeschritten, dass fast alle Einschränkungen beim Hören von Kindern behandelt werden können. Hörakustiker und Hörakustikerinnen, die sich auf die Versorgung von Kindern mit Hörminderung spezialisiert haben, heißen Pädakustiker und Pädakustikerinnen.

Was tun, wenn eine Hörminderung vorliegt?

Insbesondere Kleinkinder müssen das Hörverständnis erst erlernen, um etwa zwischen Gesprächen und Störgeräuschen unterscheiden zu können. „Je früher sie bei einer Hörminderung unterstützt werden, desto besser kann die Hör- und Sprachentwicklung und damit auch die gesamte Persönlichkeitsentwicklung verlaufen“, erklärt Anja Dreßen, Hörakustikmeisterin und Pädakustikerin bei Geers. Bei Neugeborenen wird innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden nach der Geburt ein spezielles Hörscreening durchgeführt. Mit weiteren regelmäßigen kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen werden bis zum fünften Lebensjahr Ohren und Hörvermögen überprüft. Wenn auf diesem Weg durch den Kinder- oder HNO-Arzt eine Hörstörung erkannt wird, erfolgt für die weitere Diagnostik eine Überweisung zur Phoniatrie und Pädaudiologie. Für die Diagnose wird ein Hörtest auf beiden Ohren durchgeführt, der je nach Alter des Kindes variiert. „Pädakustiker können die modernen Hörgeräte danach programmieren und optimal an das Gehör des Kindes anpassen“, so Dreßen.

Geers etwa betreibt bundesweit an 82 Standorten Kinderhörzentren, die sich auf die Hörversorgung von Kindern spezialisiert haben. Viele davon arbeiten interdisziplinär mit einer Phoniatrie und Pädaudiologie zusammen. Hörgeräte für Kinder sind besonders robust und unempfindlich, um den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Es gibt sie in bunten Farben, mit Schmucksteinchen und dekorativen Accessoires. Wenn Hörgeräte nicht den gewünschten Erfolg bringen, kann eine Versorgung mit einem Cochlea-Implantat zielführender sein. Anja Dreßen nennt die wichtigsten Anzeichen einer Hörminderung, auf die Eltern beim Säugling und auch später achten sollten:

  • Der Säugling erschrickt nicht vor lauten Geräuschen und lässt sich nicht durch die Stimme der Eltern beruhigen.
  • Das Fehlen von Brabbelgeräuschen und stimmhaftem Lachen.
  • Verstummen von Brabbelgeräuschen nach dem sechsten Lebensmonat.
  • Reaktion häufig erst nach mehrmaligem Rufen.
  • Beobachtung von Lippenbewegungen während des Sprechens.
  • Das Kind spricht undeutlich und verdreht Laute in Wörtern.
  • Häufiges Nachfragen trotz konzentriertem Zuhören.
  • Das Kind spricht mit lauter Stimme.
HörGeist: 1,7 Mio. Euro Förderung für „Leuchtturm-Projekt“

HörGeist: 1,7 Mio. Euro Förderung für „Leuchtturm-Projekt“

Bild: Eine Audiometristin („Hörtesterin“) bei einer Testung im Projekt HörGeist. Das Bild zeigt den Einsatz einer Sonde für die Messung otoakustischer Emissionen, also von Schallaussendungen des Innenohrs (Foto: WWU/K. Neumann)

„Leuchtturm-Projekt“ könnte in weltweit erstes Hörscreening für geistig Behinderte münden

Münster (mfm/sw) – Menschen mit geistiger Behinderung leiden mindestens fünf- bis sechsmal häufiger an Hörstörungen als die übrige Bevölkerung. Daher begibt sich die Phoniatrie und Pädaudiologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster – wieder einmal – auf unerforschtes Terrain: Prof. Katrin Neumann und ihr Team widmen sich mit dem Projekt HörGeist unentdeckten oder unzureichend versorgte Hörstörungen in dieser Gruppe. Das Ziel: ein flächendeckendes Hörscreening für Menschen mit geistiger Behinderung. Das Vorhaben wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit 1,7 Millionen Euro gefördert. Derzeit ist die Arbeitsgruppe auf der Suche nach geeigneten Probanden – insgesamt 1.050 sollen es werden.

Ein „Leuchtturmprojekt“ nennt es Katrin Neumann – und meint damit den innovativen Ansatz sowie die möglichen Ergebnisse, die HörGeist mit sich bringen könnte: „Wenn unsere Studie erfolgreich läuft, könnten wir ein bundesweit flächendeckendes Hörscreening für diese ohnehin gesundheitlich benachteiligte Zielgruppe etablieren“, so die Fachärztin und Direktorin der münsterschen Uniklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, die schon das flächendeckende Neugeborenen-Hörscreening in Deutschland maßgeblich mit auf den Weg gebracht hat. Die ersten Schritte: ein regionales Hörscreening, gefolgt – wenn auffällig – von einer Hördiagnostik und Therapieeinleitung. Das damit befasste Studienteam setzt sich aus Fachleuten verschiedener Berufsrichtungen zusammen – unter anderem aus Medizin, Psychologie, Hörakustik, Pädagogik, Gesundheitsökonomie, Epidemiologie und Statistik.

Ein Jahr später ist ein zweites Screening vorgesehen, das auch den bisherigen Therapieerfolg überprüft. Prof. Neumann erklärt: „Bei HörGeist wollen wir die langfristige Machbarkeit und den Nutzen regelmäßiger Hörtests prüfen. Es geht darum, inwiefern wir dadurch tatsächlich die Hör- und Kommunikationsfähigkeit von Menschen mit geistiger Behinderung und ihre gesellschaftliche Teilhabe bessern können.“ Außerdem: Durch das G-BA-Projekt soll erstmals solide ermittelt werden, wie viele Menschen mit geistiger Behinderung tatsächlich von einer Hörstörung betroffen sind. Ob das von der Expertin für Stimm-, Sprach- und Hörgesundheit initiierte Projekt dann auch noch der Kosten-Nutzen-Analyse standhält, die das neue Vorgehen mit dem bisherigen vergleicht, ist in einem abschließenden Schritt zu prüfen.
Aus fördertechnischen Gründen setzt HörGeist zunächst im Rheinland an. G-BA-finanzierte Projekte dienen der Erprobung von Behandlungen im Hinblick auf ihren etwaigen Einsatz in der Regelversorgung und eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen, weshalb hier die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Rheinland/Hamburg Projektpartnerin ist. Die Hörtestungen laufen in der Lebensumgebung der Teilnehmenden, also in Wohnheimen, Werkstätten, integrativen und Förderkindergärten sowie entsprechenden Schulen.

Um sich von Münster aus mit dem Rheinland bestmöglich zu vernetzen, greifen Neumann & Co. auch auf die Telemedizin zurück. Insbesondere für die komplizierteren Fälle ist dieses „Instrument“ eine Bereicherung – und läuft folgendermaßen ab: „Mittels eines gesicherten Video-Calls schalten wir uns zu den Testungen und können alle Hörbefunde ansehen, mit den Untersuchten sowie dem Screening-Mitarbeitenden vor Ort sprechen. Und: Wir können mit einem Video-Otoskop in die Ohren der Untersuchten schauen, um sie ärztlich zu beurteilen“, erläutert Philipp Mathmann, Projektarzt von HörGeist. „Wenn die ‚Screenenden‘ unterwegs sind, klingelt bei uns also ein paar Mal am Tag das Telefon und wir verbinden uns mit unseren Partnern in Aachen, Essen, Köln oder Düsseldorf, um gemeinsam die Diagnostik und die weiteren Behandlungsschritte zu besprechen“, so der Mediziner.

Allerdings: Corona erwies sich auch bei diesem Forschungsprojekt als Hemmschuh. „Zwischenzeitlich waren externe Personen in den Behinderten-Einrichtungen gar nicht erlaubt – wir konnten also noch nicht genügend Hörscreenings durchführen und die Personenzahl rekrutieren, die wir gerne hätten“, bedauert der Arzt. Die HörGeist-Verantwortlichen ladern daher alle Einrichtungen und Familien, die die Teilnahmekriterien der Studie erfüllen, ein, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen (Tel. 0251-83-59814, E-Mail: HoerGeist@ukmuenster.de). Denn, so Corinna Gietmann, die Projektkoordinatorin: „Nur gemeinsam kann es uns gelingen, Hörstörungen bei Menschen mit geistiger Behinderung besser aufzudecken, zu diagnostizieren und zu behandeln“.

Informationen für Interessierte gibt es im Flyer zu HörGeist.