Arzneimittel richtig eingesetzt: Gegen bittere Pillen hilft trainieren

Arzneimittel richtig eingesetzt: Gegen bittere Pillen hilft trainieren

Bild: Jetzt auch an der Medizinischen Fakultät: Das bewährte ATMS-Konzept wurde von Gesundheits- und Krankenpfleger Dominik Lüttgen (2.v.l.) und Tutorin Hanna Gesthuysen für die universitäre Lehre angepasst. Auch Dr. Tim Güß, Ärztlicher Leiter des UKM-Trainingszentrums (1.v.l.) und Dr. Hendrik Ohlenburg, Leiter des Studienhospitals, freuen sich über die studentische Version des „Room of safety“ (Foto: Uni MS/E. Wibberg)

Arzneimittel: Uni Münster schickt Studierende in eine simulierte Stationsapotheke

Münster (mfm/sw) – Die Dosis macht das Gift – auch in ärztlicher Obhut: In deutschen Krankenhäusern erleiden fünf bis acht Prozent aller Patientinnen und Patienten während ihres Aufenthaltes sogenannte „Arzneimittelereignisse“ – also unerwünschte oder gar gefährliche Wirkungen von Medikamenten. Die Zahl verdeutliche einen dringenden Handlungsbedarf im Bereich der Arzneimittel-Therapiesicherheit, dessen ist sich Dr. Hendrik Ohlenburg sicher. Der Ärztliche Leiter des Studienhospitals der Universität Münster lässt „seine“ Medizinstudierenden trainieren, wie sich Medikationsfehler vermeiden lassen – und das zusammen mit angehenden Hebammen. Die Integration einer simulierten Stationsapotheke in den curricularen – also verpflichtenden – Unterricht für Medizinstudierende und Hebammen ist bundesweit einmalig.

Das Konzept folgt der Devise „Besser früh richtig lernen, als später nachbessern müssen“. Ohlenburg: „Fehler können vermieden werden, wenn ganz früh im Studium schon ein präziser Blick auf riskante Aspekte gelenkt und der wachsame Umgang mit Medikamenten geübt wird. Dann entsteht eine Kultur der Sicherheit. Wir müssen anhand konkreter Beispiele aufzeigen, welche Auswirkung schon kleine Unachtsamkeiten und Ungenauigkeiten bei der Arbeit mit Arzneimittel haben können.“ Leicht könne man beispielsweise ähnlich aussehende Medikamente verwechseln, so der Facharzt für Anästhesiologie. Daher hat er einen Kursteil zur Arzneimittel-Therapiesicherheit (AMTS) in das Basiscurriculum der studentischen Ausbildung im Studienhospital übernommen. Im Mittelpunkt steht der „Room of Safety“, die Simulation einer Stationsapotheke, in der die Teilnehmenden der Schulung aktiv Fehler identifizieren und dokumentieren sollen. Dabei reflektieren sie gemeinsam die Herausforderungen und erarbeiten Lösungsansätze, um die Sicherheit zu optimieren. „Durch diese praxisnahe Herangehensweise werden berufsübergreifend die an der Patientenversorgung Beteiligten sensibilisiert und lernen, Risikofaktoren sowie Regelverstöße zu erkennen“, so Ohlenburg.

Arzneimittel: Die richtige Medikation soll gelernt sein: Studierende der Medizin und der Hebammenwissenschaft lernen gemeinsam den korrekten Umgang mit Arzneimitteln (Foto: Uni MS/E. Wibberg)

Bild: Die richtige Medikation soll gelernt sein: Studierende der Medizin und der Hebammenwissenschaft lernen gemeinsam den korrekten Umgang mit Arzneimittel (Foto: Uni MS/E. Wibberg)

Dominik Lüttgen, Tutor am Studienhospital sowie examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger und seine Kollegin Hanna Gesthuysen, studentische Tutorin, haben das Konzept mit Sabine Tegelmann vom Trainingszentrum der Uniklinik an die studentische Ausbildung angepasst. „Der Room of Safety ist ein wegweisendes Konzept, mit dem sich die Studierenden frühzeitig in ihre spätere Rolle einfinden können und lernen, Verantwortung zu übernehmen sowie eine aufmerksame und kritische Haltung im Umgang mit Medikamenten einzunehmen“, begrüßt der Studiendekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Bernhard Marschall, die Innovation. „Mit dem neuen Kurs schaffen wir eine solide Basis für eine achtsame Haltung, für fundierte Entscheidungen und eine sichere Arzneimitteltherapie.“

UKM-OnlineTalk: „Inkontinenz – (k)ein Tabuthema“

UKM-OnlineTalk: „Inkontinenz – (k)ein Tabuthema“

Bild: Gesprächspartner im kommenden UKM-OnlineTalk „Inkontinenz – (k)ein Tabuthema“: Urotherapeutin Daniela Schulz und Dr. Fabian Queißert, Leiter des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums am UKM. (Foto © UKM/Wibberg)

Frauen wie Männer können betroffen sein – doch niemand spricht gerne darüber. Die Rede ist von Harninkontinenz, die verschiedenste Ursachen haben kann. „Betroffene brauchen lange, bis sie ihr Leiden offenbaren und wissen gar nicht, dass wir in den allermeisten Fällen die Inkontinenz beheben können“, sagt Dr. Fabian Queißert, Leiter des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums in der Klinik für Urologie am UKM (Universitätsklinikum Münster). Zusammen mit der Urotherapeutin Daniela Schulz, die Betroffenen zahlreiche Übungen und Trainings zur besseren Blasenkontrolle anbieten kann, will Queißert im UKM-OnlineTalk am Dienstag, 19. März, ab 18:00 Uhr live auf dem YouTube-Kanal des UKM mit dem Tabu aufräumen.

Münster (ukm/aw) – Ob bei der Hausarbeit, beim Sport oder gar auf Partys: Die eigene Blase nicht mehr kontrollieren und den Urin nicht mehr halten zu können, ist immer mehr als einfach nur unnagenehm. Patientinnen und Patienten mit Harninkontinenz fühlen sich massiv in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt – ganz zu schweigen vom großen Tabu, das das Problem gesellschaftlich umgibt. „Je nach Ausprägung trauen sich manche kaum vor die Tür, wenn sie nicht wissen, wo die nächste Toilette zu finden ist. Und anders als gemeinhin bekannt, sind nicht nur Frauen, beispielsweise nach mehreren Geburten, betroffen“, sagt Dr. Fabian Queißert. „Auch Männer leiden unter Inkontinenz, insbesondere nach Prostataoperationen.“ Das Lebensalter sei dabei bei beiden Geschlechtern eine relevante Größe, was aber nicht heißt, dass nicht schon junge Menschen betroffen sein können, so Queißert.

Häufig sind es neurologischen Störungen, die dafür verantwortlich sind, dass die willentliche Kontrolle über den Blasenschließmuskel nicht mehr funktioniert, Die Folge können die sogenannte Dranginkontinenz, also Urinverlust im Harndrang, Stressinkontinenz (beispielsweise beim Husten, Laufen, Hüpfen etc.) oder der Harnverhalt sein. Sogar Potenz-, bzw. Gefühls- und Stuhlentleerungsstörungen können bei neurologischen Schädigungen im Bereich des Beckens damit einhergehen. Grundsätzlich ist es bei der Betrachtung von Inkontinenz nötig, andere Disziplinen hinzuzuziehen, die sich anatomisch betrachtet auch im großen Becken bewegen. Bei Frauen ist zum Beispiel die gynäkologische Expertise unverzichtbar. Das Kontinenz- und Beckenbodenzentrum des UKM arbeitet deshalb fachübergreifend.

Nicht immer ist eine Operation die einzige Lösung des Problems: Welche konservativen Maßnahmen ergriffen werden können, um eine operative Korrektur des insuffizienten Schließmuskels noch abzuwenden, dazu steht Urotherapeutin Daniela Schulz im UKM-OnlineTalk Rede und Antwort. „Wir legen generell Wert auf ein möglichst wenig belastendes und schonendes Therapiekonzept, das nach eingehender Untersuchung ganz individuell erstellt wird. Beckenbodentraining kennt wohl jeder, doch das ist nicht die einzige Maßnahme, die wir zunächst anbieten können“, sagt Schulz. Fakt ist: Erst nach Ausschöpfen aller konservativen Möglichkeiten bietet das Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Betroffenen verschiedene und hochmoderne interventionelle und operative Behandlungsmöglichkeiten. Der Erhalt der Lebensqualität steht dabei im Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen.

Der UKM-OnlineTalk zum Thema „Tabuthema Inkontinenz“ ist am Dienstag, 19. März, ab 18.00 Uhr, über den YouTube-Kanal des UKM zu streamen. Interessierte können im Vorfeld per Mail an ukm-onlinetalk@ukmuenster.de ihre Fragen einreichen. Auch Kommentare direkt unter dem Stream werden entweder direkt oder nach der Ausstrahlung beantwortet. Weitere Informationen finden Sie auch unter www.ukm-onlinetalk.de

SAT.1-Format „Lebensretter hautnah“ in der Klinik für Unfallchirurgie am UKM

SAT.1-Format „Lebensretter hautnah“ in der Klinik für Unfallchirurgie am UKM

Bild: Fünf Unfallchirurginnen und -chirurgen im Mittelpunkt der Reality-Doku „Lebensretter hautnah“: (v.l.) Mats Gehling, Dr. Helena Düsing, Dr. Alexander Milstrey, Dr. Luise Hägerich und Dr. Lucas Palma Kries. (Foto © UKM/Heine)

Ein Patient mit Platzwunde am Kopf oder ein Patient mit amputiertem Daumen im Gepäck – in einer unfallchirurgischen Notaufnahme gehören solche Fälle zum Alltag. So auch für Dr. Helena Düsing, Dr. Luise Hägerich, Dr. Alexander Milstrey, Dr. Lucas Palma Kries und Mats Gehling von der Uniklinik Münster. Sie und ihre Arbeit stehen in den ab Dienstag, 12. März 2024, in SAT.1 ausgestrahlten Folgen im Mittelpunkt der Reality-Doku „Lebensretter hautnah – Wenn jede Sekunde zählt“.

Münster (ukm/aw) – Bisher hat sich das Format „Lebensretter hautnah – Wenn jede Sekunde zählt“ mit der nervenaufreibenden Arbeit von Notärztinnen, Notärzten und Rettungskräften in ganz Deutschland beschäftigt – jetzt soll erstmals auch das Geschehen in den Notaufnahmen von Krankenhäusern beleuchtet werden. Dabei ermöglicht der Einsatz mobiler Drehtechnik den Zuschauerinnen und Zuschauern, die Arbeit von fünf jungen Fach-, bzw. Assistenzärztinnen und -ärzten aus der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des UKM (Universitätsklinikum Münster), dem Pflegeteam und all ihrer Kolleginnen und Kollegen hautnah mitzuerleben. Zuschauende können so einen Eindruck davon bekommen, was die von Notfällen geprägte tägliche Arbeit in einer unfallchirurgischen Notaufnahme ausmacht.

Seit Anfang des Jahres haben die Dreharbeiten für die Folgen, die am UKM spielen, stattgefunden. Sie werden ab dem kommenden Dienstag, 12. März, täglich ab 18 Uhr, in SAT.1 gesendet. Dank des erfahrenen Drehteams der Produktionsgesellschaft Just Friends Productions waren viele Patientinnen und Patienten trotz ihrer akuten Verletzungen bereit, sich mit der Kamera in der unfallchirurgischen Notaufnahme begleiten zu lassen. Selbstverständlich stehen dabei immer die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten im Vordergrund.

Der Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Prof. Michael J. Raschke, ist schon jetzt gespannt, wie die Arbeit der Klinik am Ende auf dem Bildschirm „rüberkommt“: „Wir haben die Türen geöffnet und Einblicke gewährt, die man von außen sonst nie bekommt. Aber auch für uns alle hier ist es natürlich etwas Besonderes das alles mal aus der Zuschauerperspektive zu sehen.“

Delir: Wenn die OP zu Verwirrtheit führt

Delir: Wenn die OP zu Verwirrtheit führt

Bild: Eine Mitarbeiterin der Perioperativen Altersmedizin am St. Franziskus-Hospital Münster betreut einen älteren Patienten im OP.

St. Franziskus-Hospital informiert zum Welt-Delir-Tag am 13. März

Münster – Was passiert in meinem Kopf nach einer Narkose? Ältere Menschen sorgen sich bei einer bevorstehenden Operation oft nicht nur vor dem Eingriff selbst. Zu häufig haben viele davon gehört, dass Patientinnen und Patienten nach der Narkose plötzlich verwirrt und in ihrem Verhalten nicht mehr wiederzuerkennen sind – ganz unabhängig vom eigentlichen Operationsgrund.

„Im Durchschnitt erleiden 20% aller Menschen, die älter als 65 Jahre sind, während eines Krankenhausaufenthaltes einen plötzlich auftretenden Verwirrtheitszustand, ein sogenanntes Delir“, weiß Professor Dr. Ulrich Göbel, Chefarzt der Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin am St. Franziskus-Hospital in Münster. „In den meisten Fällen erholen sie sich davon wieder. Manchmal können die Gedächtnisprobleme allerdings bleiben und es entwickelt sich unter Umständen daraus eine Demenz.“

Die Ursachen, die zu einem Delir führen, sind vielfältig. So können z.B. die Operation und die Narkose, neu verordnete Medikamente, eine Infektion oder auch ein Flüssigkeitsmangel die Symptome hervorrufen.

Am St. Franziskus-Hospital widmet man sich diesem Problem seit über 20 Jahren mit einem eigens dafür ausgebildeten Team. Die Fachkräfte der Perioperativen Altersmedizin ermitteln vor einer Operation das individuelle Risiko eines Patienten, ein Delir zu erleiden, und ergreifen Maßnahmen, ein solches zu vermeiden.

Am Tag des Eingriffs werden die Patientinnen und Patienten durch eine Pflegefachkraft der Perioperativen Altersmedizin bis in den Operationssaal begleitet und auch in den ersten Tagen nach der OP weiterhin durch sie betreut. „Es geht dabei nicht nur darum, den Patienten durch die Anwesenheit einer zusätzlichen Pflegekraft mögliche Ängste vor einer Operation zu nehmen“, sagt Dr. Wibke Brenneisen, Oberärztin der Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin. „Ein gleichbleibender, geschulter und vor allem bekannter Ansprechpartner hilft nach dem Erwachen bei der schnelleren Orientierung.“

Das mehrfach ausgezeichnete Konzept hat seit seiner Einführung Schule gemacht: so wurden vom Franziskus Hospital aus Mitarbeitende in vielen anderen Häusern darin unterrichtet. Auch im St. Marien-Hospital Lüdinghausen, das ebenfalls zur St. Franziskus-Stiftung gehört, ist man von der Vorgehensweise der Perioperativen Altersmedizin überzeugt. „Die speziell auf den Patienten abgestimmten prophylaktischen Maßnahmen können ein Delir erfolgreich verhindern,“ sagt Dr. Marcus Ullmann, Chefarzt des Zentrums für Akutgeriatrie und geriatrischen Rehabilitation am St. Marien-Hospital. Wenn doch mal ein akuter Verwirrtheitszustand bei einem Patienten auftritt, ist es wichtig, diesen rasch zu erkennen und zu therapieren. “Durch aktivierend-therapeutische Pflege aber auch durch intensive Physio- bzw. Ergotherapie gelingt es uns sehr oft, ein Delir abzuwenden,“ so Dr. Ullmann, der ebenfalls zur Informationsveranstaltung seiner Kolleginnen und Kollegen aus dem St. Franziskus-Hospital nach Münster kommen wird.

Am 13. März 2024 veranstaltet das St. Franziskus-Hospital anlässlich des Welt-Delir-Tages von 10.00 – 15.00 Uhr eine Informationsveranstaltung. Im Foyer des Hospitals stehen Pflegefachkräfte, Ärztinnen und Ärzte allen Interessierten bei Fragen rund um das Thema Delir, Vorbereitung auf eine Operation und Möglichkeiten einer Rehabilitation bei älteren Menschen zur Verfügung.
Vorsicht bei der Halswirbelsäule

Vorsicht bei der Halswirbelsäule

Bild: Prof. Dr. Uta Schick zeigt, wie deutlich der Bandscheibenvorfall auf dem MRT-Bild zu erkennen ist.

Neurochirurgin rät dringend dazu, bei Problemen erst ein MRT machen zu lassen

Münster – Die Halswirbelsäule ist ein sensibler Bereich, anders als zum Beispiel weiter unten in der Lendenwirbelsäule, verläuft hier das empfindliche Rückenmark. Treten in diesem Bereich Verletzungen auf, kann das schwerwiegende Folgen haben, bis zur Querschnittslähmung. „Probleme mit der Halswirbelsäule müssen sehr ernst genommen werden und am Anfang muss nach der klinischen Untersuchung eine bildgebende Diagnostik mit dem MRT stehen. Auf jeden Fall sollte nicht versucht werden, ohne eine solche Untersuchung etwas einzurenken“, mahnt Prof. Dr. Uta Schick, Chefärztin der Neurochirurgie des Clemenshospitals, einer Klinik des Alexianer-Verbundes.

Was dann passieren kann, hat Evelyn G. am eigenen Leib zu spüren bekommen. „Ich hatte eingeschlafene Beine, eines Tages bin ich sogar im Wohnzimmer gestürzt“, erinnert sich die 45-Jährige. Es folgten Nackenschmerzen und Kribbeln in den Fingern. „Spätestens an diesem Punkt hätte unbedingt ein MRT gemacht werden müssen“, wie Schick erläutert. Stattdessen erfolgte eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Massagen brachten keine Besserung und der Versuch des Orthopäden, die Halswirbel einzurenken, verschlechterte höchstwahrscheinlich einen Bandscheibenvorfall. Erst der Neurologe verordnete eine Untersuchung mit dem MRT, die das Problem sofort offenbarte, die Bandscheibe drückte massiv auf das Rückenmark und bewirkte, dass Evelyn G. mittlerweile nicht mehr ohne Hilfe gehen konnte und nach zwei bis drei Schritten umkippte.

„Es war Eile geboten. Wir haben die Patientin im Clemenshospital operiert und den Bandscheibenvorfall zwischen dem fünften und sechsten Halswirbelkörper entfernt, ein Kunststoffkörbchen eingesetzt und aufgrund der vermehrten Beweglichkeit mit einer Titanplatte gesichert, berichtet Prof. Dr. Uta Schick. „Die Beschwerden wurden sofort besser. Kaum eine Woche nach dem Eingriff kann die Patientin schon wieder auf einem Bein stehen“, freut sich die Neurochirurgin über den außergewöhnlich guten und schnellen Heilungsverlauf. Das hätte auch anders ausgehen können, darum rät Schick eindringlich dazu, vor Manipulationen an der Halswirbelsäule eine bildgebende Diagnostik mit dem MRT durchzuführen. Wird das Rückenmark mittig eingeengt, kommt es zu einer Gangstörung, Taubheit in den Fingerspitzen, aber nicht zu Schmerzen, da die seitlichen Nervenwurzeln nicht betroffen sind.

Diagnose NPC – aus Puzzleteilen wird ein Bild

Diagnose NPC – aus Puzzleteilen wird ein Bild

Bild: Freuen sich über ihren erneuten Forschungserfolg im Feld der Seltenen Erkrankungen: Dr. Julien Park (r.) und Prof. Thorsten Marquardt (Foto: Uni MS/E. Wibberg)

Die Niemann-Pick-Erkrankung (NPC) ist den meisten kein Begriff, denn sie gehört zu den seltenen Erkrankungen; nur eine von rund 100.000 Personen in Europa ist betroffen. Die als „Kinderdemenz“ bekannte Fettstoffwechselerkrankung kann in mehreren Varianten auftreten, ist vererblich und in ihrem Verlauf schwer aufzuhalten. Doch dank vieler Studien lässt sich inzwischen die Überlebenszeit der Betroffenen verlängern. Marius und Roald Seifert sind zwei dieser Menschen, die davon profitieren, dass Forscher wie Prof. Thorsten Marquardt und Dr. Julien Park vom UKM (Universitätsklinikum Münster) immer wieder neue Wege im Kampf gegen seltene Erkrankungen suchen.

Niemann-Pick-Erkrankung (NPC): Die als „Kinderdemenz“ bekannte Fettstoffwechselerkrankung

Münster (ukm/aw) – Den Tag, an dem endlich die Diagnose NPC (Niemann-Pick Typ C) gestellt wurde, wird Dorothea Seifert nie vergessen. Die Eltern von Marius und Roald hatten bis Februar 2016 immer wieder mit scheinbar unerklärlichen Auffälligkeiten bei zwei ihrer drei Söhne gekämpft. Weil aber Ärztinnen und Ärzte keinen Verdacht auf etwas Schwerwiegendes hegten und weil die Schwierigkeiten der beiden auch nicht gleich waren, brachte niemand sie in einen Zusammenhang. „Dass es sich bei unseren beiden betroffenen Söhnen um die gleiche genetisch bedingte Krankheit handelt, ist immer noch schwer zu glauben, da sie sich so unterschiedlich auswirkt. Marius ist eher motorisch betroffen, Roald kognitiv“, sagt Dorothea Seifert. „Über viele Jahre haben wir bei verschiedenen Ärzten verschiedene Diagnosen erhalten, immer neue Puzzleteile, die sich mit der Diagnose Niemann-Pick dann endlich zu einem Gesamtbild zusammenfügten.“

Beide Söhne leiden unter dem juvenilen Subtyp von NPC. Im Volksmund heißt die Erkrankung auch „Kinderdemenz“. Die neurodegenerativen Symptome entwickeln sich schleichend. Erste Veränderungen treten im Grundschulalter auf. Bei Marius, der bis dahin nur als motorisch ungeschickt galt, verschlechterte sich neben den schulischen Leistungen auch die Aussprache. Logopädie und Ergotherapie brachten nur bedingt Erfolge. Gleichzeitig nahm er an Gewicht zu, schließlich wurde eine Fettleber diagnostiziert. „Die körperlichen Symptome bei den von NPC betroffenen Patientinnen und Patienten resultieren aus der Anreicherung von Cholesterin vor allem in den Nervenzellen, insbesondere aber im Gehirn. Folgen wie eine sich zunehmend verschlechternde Aussprache und Gangstörungen gehören zu den ersten Symptomen, später wird noch mehr vorher Erlerntes nach und nach vergessen“, weiß Prof. Thorsten Marquardt, Leiter des Bereichs für angeborene Stoffwechselerkrankungen in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKM. Marquardt ist bundesweit anerkannter Experte auf seinem Gebiet, zu ihm kamen die Seiferts, die eigentlich aus dem Rheinland stammen, durch eigene Recherche.

Zusammen mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Julien Park treibt Marquardt die Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten für Kinder wie Marius und Roald voran. Beide jungen Männer werden derzeit mit unterschiedlichen Therapien versorgt: Während Roald (im Rahmen eines Expanded Access-Programms) mit Arimoclomol behandelt wird, ist Marius Proband einer internationalen Phase III-Studie, bei der die Wirkung der modifizierten Aminosäure N-Acetyl-L-Leucin auf NPC-Erkrankte untersucht wird. Münster ist für Niemann-Pick-Erkrankungen das deutschlandweit führende Studienzentrum. „Die Ergebnisse der randomisierten Doppelblind-Studie sind ermutigend“, so Park. „Wir sehen eine signifikante Besserung der Symptome und Lebensqualität unter der Therapie.“
Zwar kann generell noch kein Rückschluss auf den Langzeiteffekt des neuen Therapieversuchs gezogen werden. Dennoch sind die Studienergebnisse ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Behandlung von NPC. Es besteht die Hoffnung, dass das Medikament auch bei anderen neurologischen Erkrankungen Anwendung finden könnte.

Für Familie Seifert war es ein langer Weg von fast zehn Jahren, mit vielen Diagnosen, Ärzten und Therapeuten und vielen Entscheidungen und Maßnahmen auf dem Lebensweg der Kinder. Marius und Roald – inzwischen 26 und 22 Jahre alt – leben trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen seit einiger Zeit gemeinsam in einem eigenen Haushalt. Beide gehen einer Arbeit nach, die ihnen Spaß macht. Wie es weitergeht? Dorothea Seifert möchte nicht zu weit in die Zukunft schauen. Aber die Hoffnung, dass es eines Tages vielleicht eine wirkungsvolle zugelassene Therapie gegen NPC geben wird, gibt ihr Zuversicht. Im Vorstand der Niemann-Pick-Selbsthilfegruppe e.V. versucht sie, Forschung und Erkenntnisse über die Erkrankung gezielt voranzubringen.

Information:
Die Ergebnisse der Studie wurden in der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlicht. Eine Pressemitteilung hierzu finden Sie auf der Website der Medizinischen Fakultät der Universität Münster.

Gegen das frühe Vergessen: Uni Münster an internationaler Studie zur Niemann-Pick-Erkrankung beteiligt

Münster (mfm/jg) – Nein, das ist kein Oxymoron wie „bittersüß“ – leider: „Kinderdemenz“ ist eine reale Krankheit und tritt in mehr als 250 Formen auf. Auf rund 100.000 Menschen kommt statistisch ein Fall der Stoffwechselerkrankung Niemann-Pick Typ C, deren Behandlungsmöglichkeiten begrenzt sind – noch: Die Abteilung für Angeborene Stoffwechselerkrankungen der Universität Münster ist an einer internationalen Studie zur Wirksamkeit der modifizierten Aminosäure N-Acetyl-L-Leucin (N-ALL) beteiligt und hat zu vielversprechenden Ergebnissen beigetragen. Diese sind jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ erschienen.

„Niemann-Pick Typ C ist eine seltene angeborene Stoffwechselerkrankung, die meist im Kindesalter beginnt und zu schwerwiegenden Einschränkungen sowie dem fortschreitenden Verlust neurologischer Fähigkeiten bis hin zum Tod führt“, erklärt Dr. Julien Park, der zu der Arbeitsgruppe um Prof. Thorsten Marquardt an der Uniklinik für Kinder- und Jugendmedizin zählt. Ausgelöst wird die Form von Kinderdemenz durch Mutationen in den Genen NPC1 und NPC2; die Folge ist ein gestörter Cholesterin-Transport in den Körperzellen, der besonders in Nervenzellen Ablagerungen von Cholesterin verursacht.

Zur Behandlung wird in der Europäischen Union bisher nur das Medikament Miglustat eingesetzt – dies kann den Krankheitsverlauf jedoch nur hinauszögern; in den USA ist es nicht einmal zugelassen. Insgesamt 14 internationale Forschungseinrichtungen, unter anderem das University College London, die Mayo Clinic in den USA, das Universitätsspital Bern und die LMU München, haben in einer gemeinsamen Phase-III-Studie eine Versuchsgruppe von Betroffenen behandelt. Die Teilnehmenden erhielten für drei Monate N-ALL und für drei Monate ein Placebo – ohne dass sie oder das Studienteam wussten, mit welchem Mittel sie wann behandelt wurden. Das Ergebnis: Während sich bei der Behandlung mit N-ALL die Symptome merklich verringerten, die Lebensqualität und kognitive Funktion der Erkrankten stiegen, zeigte sich unter Placebo keine Verbesserung.

„Diese positiven Studienergebnisse sind ein wichtiger Schritt zu einer besseren Behandlung dieser seltenen, aber schwerwiegenden neurodegenerativen Erkrankung. Und es gibt sogar die Hoffnung, dass das Medikament auch bei anderen neurologischen Krankheiten helfen kann“, resümiert AG-Leiter Prof. Marquardt. Aufgrund der begrenzten Studiendauer könnten jedoch noch keine Rückschlüsse auf einen langfristigen Effekt gezogen werden, so Park. „In einer bereits laufenden ‚Extension Phase‘ sammeln wir daher jetzt Langzeitdaten.“ [PubMed-Link zur Publikation]